SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Manche Menschen sind einfach anders. Das macht sie anstrengend für die, die nicht anders sind. Oder es meinen, nicht zu sein. Denn was anders ist und was nicht, bestimmt immer der eigene Standpunkt. Habe ich Glück und bin so, wie die meisten anderen um mich herum, dann bekomme ich keine Probleme.  

Andreas Steinhöfel hat ein Buch geschrieben, das genau diesen Titel trägt: Anders. Der Autor ist vor allem für seine Kinderbücher bekannt geworden. Und auch in seinem jüngsten Buch spielt ein zwölfjähriger Junge die entscheidende Rolle. Durch einen Unfall verliert er sein Gedächtnis, und damit alles, was ihm bisher geholfen hat, sich in der Welt zurecht zu finden, ohne im größeren Stil anzuecken. Jetzt, auf einmal, ohne Erinnerung an früher, funktioniert das alles nicht mehr. Er weiß ja nicht mehr, wer seine Eltern sind und seine Freunde. Er muss alles rekonstruieren. Das ist anders als früher. Er ist anders. Und er wirkt nicht nur so, sondern er nennt sich von nun an auch so. Anders. Statt Felix. Den Namen, den seine Eltern für ihn ausgesucht haben, legt er ab. Ohne eine Erinnerung ist der ihm ohnehin fremd. Jetzt, aus dem künstlichen Koma aufgewacht, muss er die Welt neu entdecken, sie wieder für sich erobern. Er muss lernen, wie man sich unterschiedlichen Menschen gegenüber verhält. Dabei entwickelt er ein ungewöhnlich großes Gespür für das, was andere denken und wie sie sich fühlen. Er beschreibt seine Gefühle mit Farben. Seinem Gegenüber nähert er sich manchmal so weit, dass der sich bedroht fühlt. Anders sieht Dinge im voraus, die dann tatsächlich so eintreten. Das irritiert, und manchen macht das regelrecht Angst. Nur eine seiner Lehrerinnen kommt damit klar. Weil sie ahnt, wie mühsam es für Anders ist, seinen Platz zu finden. Sie und sein Vater halten auch dann noch zu ihm, als die Mehrheit den andersartigen Jungen längst abgeschrieben hat.  

Während ich das Buch gelesen habe, hat sich mir eine Parallele immer mehr aufgedrängt. Das ist doch genau das, was die Bibel am Anfang sagt: Gott hat jeden Menschen nach seinem Bild gemacht. Jeden. Wie er ist. Es ist auch egal, wie anders er ist. Ob er als Junge Ballett tanzt, sich weigert ein Handy zu benützen oder im Alter von 80 nochmals heiratet. Wenn er nur respektiert, dass er nicht das Maß aller Dinge ist. Und dass seine Freiheit an der des anderen aufhört. Wie viel mehr Menschen würden sich dann angenommen und wohl fühlen auf unserer Welt.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19524
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