SWR2 Wort zum Tag

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Was kann man machen, wenn man nichts mehr machen kann? hat der früh verstorbene Künstler Thomas Lehnerer auf eine seiner letzten Zeichnungen geschrieben. Es bestand für ihn keine Hoffnung auf Heilung.
Was ist, wenn wir am Ende unserer Möglichkeiten angekommen sind, wenn wir die Grenzen menschlicher Machbarkeit erfahren? Es ist bedrückend, nichts mehr tun zu können. Begreifen zu müssen, so wie es war, wird es nicht mehr sein. Letzte Sätze, letzte Begegnungen bekommen plötzlich eine andere Bedeutung.
Ich habe in den letzten Wochen und Monaten anlässlich des bevorstehenden Todes der Freundin Luise Schottroff erfahren, dass es etwas gegen diese Ohnmacht gibt: die Zuwendung, für den anderen da zu sein, nicht allein zu lassen. Sterbeglück hat sie es genannt, Beziehungen, Zuwendung im Angesicht des Todes noch einmal ganz neu zu erfahren.
Eine solche Zuwendungsgeschichte erzählt das Neue Testament im Markusevangelium am Beginn des Passionsberichtes.
Jesus ist mit seinen Jüngern zu einem Gastmahl eingeladen, als eine Frau in die Runde einbricht, auf Jesus zugeht und ihn umarmt. Sie zerbricht eine Alabasterflasche und gießt das kostbarste Salböl, das es damals gab, auf Jesu Haupt und salbt ihn. Über alle Maßen überschwänglich gibt diese Frau. Sie ist mutig, mitfühlend, voll Sympathie. Sie salbt Jesus, wie man einen Toten salbt. Es ist, als ob sie vorausschauen könnte auf das, was kommen wird: Verhaftung, Kreuzigung. Es ist so, als ob sie etwas spürte vom Leid und grausamen Tod Jesu. Sie kann nicht verhindern, was später geschehen wird. Aber sie setzt ein Zeichen der Liebe im Angesicht des Todes. Der Härte der Passion Jesu stehen Zuwendung und Mitleiden gegenüber.
Und Jesus? Er ist berührt von dem, was diese Frau tut. Er sagt, indem er sie liebevoll ansieht: Ich verstehe dich. Ich bin bei dir – wie du bei mir bist. Es ist der zärtliche, der zugewandte Jesus, der diese Frau in ihrer Hingabe annimmt.
Diese namenlose Frau ist ein Beispiel dafür, was ich tun kann, wenn ich mit anderen Möglichkeiten am Ende bin: da zu sein, einen Leidenden und Sterbenden mitwachend und mitempfindend zu begleiten.
Es ist tröstlich, dass es diese Begegnung vor Jesu Tod gegeben hat. Sie ist ein Lichtblick in der kalten Trostlosigkeit der Karwoche. Ich hoffe, dass solches Sterbeglück möglichst viele Menschen erleben können.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19518
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