SWR2 Wort zum Tag

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„Sei doch einfach Du selbst.“ Diesen Ratschlag haben Sie vielleicht auch schon bekommen. Man ist verwirrt, ratlos und fragt sich. Was soll ich tun? Welcher Weg ist dran? Der einfachere, der eher das Bisherige fortführt? Oder ist eine Neuausrichtung für mich dran? Beide Möglichkeiten sieht man vor sich. Beide kann man sich vorstellen. Beide würden einem entsprechen.
Kann da der Ratschlag helfen? „Sei doch einfach Du selbst.“
Mir hilft er eher nicht. Weil er mich in meiner Unentschiedenheit allein lässt.
Das ist doch genau das Problem, das einem verunsichert. Ich weiß nicht, wie ich mich entscheiden soll, weil ich im Grunde nicht weiß, auf welchem Weg ich „ganz ich selbst bin“. Wie soll einem dieser Rat helfen, ‚sei doch einfach Du selbst‘ wenn das genau die Frage ist: ‚Wer bin ich?
Ich bewege mich zwischen verschiedenen Möglichkeiten meiner selbst. Manchmal schwanke ich. Bin kein unwandelbares Ich, dessen Ich so fixiert ist, so dass ich darüber verfügen könnte wie über ein Bankkonto.

„Wer bin ich?“ so ungewiss fragt auch Dietrich Bonhoeffer. In einem Gedicht, das er im Gefängnis der Nazis in Berlin-Tegel geschrieben hat. Vor fast genau 70 Jahren. Verunsichert, weil das Bild, das er von sich hat, ganz anders ist, als das seiner Mitgefangenen.
„Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?
Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?“
Solche Fragen lassen ihn nicht zur Ruhe kommen.
„Bin ich denn heute dieser und morgen ein anderer?
Bin ich beides zugleich? Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.“
Eine Antwort findet Bonhoeffer nicht, indem er immer angestrengter sucht. Sondern in dem er das Suchen lässt. Und die Antwort auf die Frage Gott überlässt:
„Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!“

Bonhoeffer kann leben mit einem offenen „Ich“. Er muss nicht über sich verfügen. Das wird möglich, weil er sich verlässt, auf einen Gott, der mit ihm unterwegs ist, auch wenn er seiner selbst ungewiss ist. Er weiß, dass Gott ihn braucht in seinem Widerstand gegen die Nazis. Das gibt Halt. Er muss den Grund seines Lebens nicht selbst sichern. Er kann leben und eine Aufgabe vor Gott erfüllen. Das gibt ihm Gewissheit. Bonhoeffer folgt damit der christlichen Hoffnung, die schon im Neue Testament formuliert ist:
Es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: Wenn es offenbar wird, werden wir ihm, dem Vater, gleich sein. Denn wir werden ihn sehen, wie er ist.(1. Joh 3)
Unser endgültiges Bild steht noch nicht fest. Aber im Spiegel Gottes werden wir sehen, wer wir sind.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19408
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