Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Nach einigen Wochen war es nun wieder so weit: Meine Locken wuchsen in alle Richtungen und meine Freunde fragten mich: „Hey, willst du dir einen Afro wachsen lassen?“

Also: Ab zum Friseur! Und irgendwie mache ich das auch gerne. Denn jedes Mal wenn ich zum Haare schneiden gehe, empfinde ich das als Erholung. Einfach mal in den gemütlichen Ledersessel fallen und das Reden anderen überlassen. 

Dieses Mal Anja, wie mir die junge Frau verrät. Wir kennen uns noch nicht. Anja will wissen, was ich denn so mache. Das könnte jetzt wieder eine haarige Angelegenheit werden, denke ich. Aber gut. „Ich bin Theologe“, sage ich. Stille im Salon. „Okaaayyy“, kommentiert Anja nach einer ausgedehnten Pause. Ihre Augenbraue biegt sich dabei um 90°. „Und was macht man damit?“, fragt sie weiter. „In meinem Beruf begegne ich vielen unterschiedlichen Menschen und komme mit ihnen über Gott und das Leben ins Gespräch. Und ich versuche Menschen zu begleiten und im Glauben zu stärken. Und manchmal, da höre ich ihnen auch einfach nur zu“.  Anja stemmt ihre Hände in die Hüften und sieht mich an: „Ja, also Zuhören, das mache ich hier auch den ganzen Tag.“ Und dann packt sie aus: Erzählt von den Menschen, die ihr ihren Liebeskummer anvertrauen. Die auf der Arbeit gemobbt werden. Die gegen den Krebs kämpfen – und deshalb ihre Haare verlieren. Da weiß ich manchmal auch nicht, was ich sagen soll. Aber ich spüre: Mein offenes Ohr tut den Menschen gut. Viele sind sehr einsam.“

 Zuhören, ja, das könne sie. Und glauben, das tut sie auch. Dass es da jemanden gibt, der uns so liebt wie wir sind. Und der will, dass wir einander Gutes tun. Und einander zuhören. 

Die 30 Minuten vergehen wie im Flug. „Ist es so ok?“, fragt Anja und präsentiert mir  im Handspiegel meinen Hinterkopf. „Alles bestens“, bedanke ich mich. Nicht nur für die Frisur. Auch für das Gespräch. Denn ich freue mich, dass da jemand nicht nur einfach seinen Job macht. Ich freue mich, dass der ganze Mensch für Anja wichtig ist. Nicht nur die Haare. Danke Anja! Und danke allen die anderen zuhören. Im Friseursalon, aber auch auf der Parkbank, in der Straßenbahn oder am Telefon. 

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