SWR2 Wort zum Tag

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Eigentlich war er weit weg vom kriegerischen Geschehen. Zu weit, um sich sorgen zu müssen. Aber Matthias Claudius hat sich Sorgen gemacht, er war sogar tief beunruhigt, weil wieder mit Krieg gedroht wurde.
Sein Gewissen hat ihm keine Ruhe gelassen. Es hat ihn wach gerüttelt. Er musste schreiben. Einen Brief an seinen Fürsten und sein Gedicht: „Kriegslied“:

's ist Krieg! 's ist Krieg!
O Gottes Engel wehre, Und rede du darein!
's ist leider
Krieg – und ich begehre –
Nicht schuld daran zu sein!

1778 hat Claudius dieses „Kriegslied“ geschrieben: Friedrich II hatte wieder einmal seine Truppen in Marsch gesetzt gegen Österreich. War in Böhmen, im heutigen Tschechien einmarschiert. Zum Glück kam es nicht zur großen militärischen Auseinandersetzung. Ein wenig klüger waren die Mächtigen geworden nach den vielen Toten wenige Jahre zuvor. Aber auch ohne Schlacht haben die Soldaten Elend über die Menschen in Böhmen gebracht. Und viele von ihnen sind selbst verhungert.
Wie gesagt, eigentlich war Matthias Claudius weit weg. Zu Hause in seinem Wandsbek, im Norden von Hamburg. Dieser Krieg war doch nicht seine Sache.
Aber sein Gewissen gibt keine Ruhe: „
s’ist leider Krieg und ich begehre nicht schuld daran zu sein.“
Man möchte ihn und sich selbst beschwichtigen: Du und ich, wir sind doch nicht schuld. Es ist das übliche Spiel der Mächtigen. Es ist doch nicht unser Krieg.
Warum sollte man sich als kleiner Journalist, als Lehrerin, als Ärztin, Pfarrer, Mutter oder Opa verantwortlich fühlen. Für einen Krieg, irgendwo in Europa? Sorge ja, aber Verantwortung?
Matthias Claudius‘ Gewissen lässt sich nicht beschwichtigen: In den nächsten Strophen des Gedichts steht der Albtraum des Krieges hellsichtig vor ihm: Und seine Gewissensbilder scheinen klarer als die Bilder, die aus den Nachrichten an mich kommen. Ist mein Gewissen eingeschlafen? Claudius dichtet:

Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?

Sein Gewissen hat Claudius dichten lassen, er hat aber auch seinem Fürsten geschrieben. Ihn gebeten, seinen Einfluss auf Friedrich II geltend zu machen. Und den Engel Gottes hat er um Beistand gerufen. Er ruft in alle Richtungen.
Ich fühle mich ratlos und ohnmächtig angesichts der politischen Lage in Osteuropa. Könnten Sie und ich lauter rufen? Tapferer beten? Dem Frieden unsere Stimme geben? Eines jedenfalls: Das Gewissen nicht einschläfern lassen, sondern wecken. Ich hoffe, dass viele wache Gewissen den Frieden fördern können.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19345
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