SWR2 Wort zum Tag

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Sie war eine agile, sehr schmale und elegante Person und hatte mich zum Kaffeetrinken eingeladen. Nach der zweiten Tasse eines ausgezeichneten Filterkaffees erklärte sie mir, dass sie sich für eine anonyme Bestattung entschieden habe. Ihr Sohn solle mit der Grabpflege nicht belastet werden. Außerdem habe sie zwar viele Freundschaften, aber keine Reichtümer gesammelt, und eine anonyme Bestattung sei nun einmal sehr viel günstiger als andere Beisetzungsarten. Nun wollte sie mich, ihre Pfarrerin, gerne persönlich kennenlernen, denn ich sollte demnächst ihre Trauerfeier halten. Sie sei sterbenskrank und ihr bliebe nicht mehr viel Zeit. Dann erzählte sie von ihrem Leben, ihrem erwachsenen Sohn, vielen Freunden.
Dieses Erlebnis und die Zahlen machen mich nachdenklich. Inzwischen lassen sich in Berlin 40% aller Menschen anonym beisetzen, doch der Trend betrifft nicht nur Großstädte. Kleine und mittlere Städte holen auf, jedenfalls in ursprünglich evangelisch geprägten Gegenden.
Wir leben in einem freien Land und jeder soll sich nach seiner Facon beerdigen lassen dürfen. Doch ich finde, zu einem Menschen gehört der Name, und ich finde es bedenklich, wenn Menschen sich anonym beerdigen lassen, jedenfalls wenn dies aus Kostengründen geschieht. In Mainz waren die politisch Verantwortlichen bedrückt über viele Gespräche mit Angehörigen, die mit der Anonymität der Bestattung nicht zurechtkamen und sich verzweifelt an die Friedhofsverwaltung gewandt hatten, weil sie schmerzlich den Erinnerungsort vermissten. Sogar dann, wenn sie zuvor dem Willen des Verstorbenen zur anonymen Bestattung zugestimmt hatten. Die Verantwortlichen haben reagiert, erfolgreich. In Mainz, immerhin eine Großstadt mit 210000 Einwohnern, sind die Zahlen anonymer Bestattungen inzwischen auf unter 1% gesunken, seitdem anonyme Bestattungen nicht mehr billiger sind als ein Rasengrab mit Namensschild.
Jeder Name erinnert an einen Menschen, der ein unverwechselbares Geschöpf Gottes war und ist. In der Bibel steht, dass unsere Namen im Himmel geschrieben sind. Auch daran erinnern mich die Namen auf den Grabstellen. Das Mainzer Modell sollte daher ein Vorbild für andere Kommunen sein. Aus christlicher Perspektive finde ich, dass eine Beisetzung mit Namensnennung Menschenrecht sein muss.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19322
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