SWR2 Wort zum Tag

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Manchmal genügt ein einziger Blick und alles ist gesagt. Blicke können töten. In einem  Blick kann die Liebe zweier Menschen für einen Moment sichtbar werden und: Blicke sagen manchmal mehr als Worte.

Einen solchen vielsagenden Blick beschreibt auch das Lukasevangelium. Petrus hat Jesus gerade verleugnet. Wenige Stunden zuvor hatte er ihm noch versprochen: Egal, was kommt, ich halte zu dir und wenn ich dafür sterben muss. Jetzt haben sie Jesus verhaftet und Petrus kneift. Dreimal behauptet er: Ich kenne diesen Jesus nicht. Und dann der Blick: Jesus dreht sich um und schaut Petrus an. Dieser Blick genügt. Petrus erinnert sich: Jesus hat mir vorausgesagt: Ich werde mein Versprechen nicht halten, ich werde ihn verleugnen. Da geht Petrus hinaus und weint.

Der Blick Jesu rührt Petrus zu Tränen. Wie genau Jesus ihn anschaut, das sagt die Bibel nicht. Fixiert er ihn vorwurfsvoll: Wie konntest du das nur machen? Oder zieht er die Augenbrauen hoch und gibt zu verstehen: Ich hab´s dir ja gleich gesagt. Diese Blicke wären verständlich.

Vielleicht aber sieht Jesus seinen Freund Petrus milde und voller Liebe an. Und sein Blick drückt aus, wie eng die beiden miteinander befreundet sind. Der Blick sagt: Ich werfe dir nicht vor, dass du mich verleugnet hast. Ich weiß, was in dir vorgeht. Ich mag dich trotz deiner Schwächen. Und Petrus geht hinaus und weint, überwältigt von der Liebe, die er  in diesem Moment nicht erwartet hat.

Vom libanesischen Autor Khalil Gibran stammt das Zitat: „Die Liebe kennt ihre Tiefe nicht bis zur Stunde der Trennung.“ Vielleicht begreift Petrus erst in diesem schmerzvollen Moment des Abschieds wirklich, wie tief die Liebe Jesu zu ihm ist. So tief, dass kein eigenes Versagen sie zu zerstören vermag. So tief, dass sie aufrichtet, anstatt zu richten, und verzeiht, wo das eigene Urteil vernichtend ausfällt.

Mir fällt es nicht immer leicht zu glauben, dass eine solche Liebe auch mir gilt. Daher möchte ich mir diesen Blick immer wieder vorstellen, wenn ich zweifle, ob ich mit meinen Schwächen vor mir und vor Gott bestehen kann. Da hilft mir dieser Blick, der mir sagt: Ich werfe dir nichts vor. Ich weiß, was in dir vorgeht. Ich mag dich trotz deiner Schwächen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19294
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