SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Den Feierabend zu gestalten, fällt mir immer schwerer. Das ist auch wegen der neuen Medien so. Dass ich nach dem Abendessen nochmals schnell meine Mails checke, geht ja nicht nur über den Computer, sondern auch übers Mobiltelefon. Wenn ich dann schnell Nachrichten checke, bleibts aber meistens nicht dabei. Beim Lesen der Mails denke ich schon nach, wie ich am besten reagieren kann. Ich formuliere in Gedanken schon eine Antwortmail. Oft führt es dazu, dass ich dann den PC vor dem Ins-Bett-Gehen noch hochfahre und mich an die Antwort setze. Und wenn ich schon bei der einen Mail bin, kann ich ja gleich auch die anderen noch beantworten. Und das ist dann mein Feierabend. Dass die Arbeitstage verplant sind, ist ja in Ordnung. Aber der Feierabend. Da will ich lieber frei sei.

Bei den Kindern und Jugendlichen sehe ich das oft kritisch, dass ihr „Handy“ beinahe zu einem weiteren Körperteil geworden ist. Wenn sie es in der Schule ausschalten müssen, sehe ich deutlich, was das an Überwindung kostet. Und wenn einer es abgegeben muss, weil er erwischt wurde, wie er es trotz Verbot benutzt hat, kommt das fast schon einer Amputation gleich. Typisch die Jugend wieder mal, denke ich dann, bevor ich in die Brusttasche greife und heimlich bei meinem Handy nach neuen SMS und Mails schaue oder auf den Internetseiten der Zeitungen nachlese, was es Neues gibt. Dabei habe ich an diesem Tag sicher schon mehrmals nachgesehen. Zumindest wird mir das klar, wenn ich die Titelschlagzeile meiner Internetzeitung heute schon zum vierten Mal lese.

Die Technik, die eigentlich eine Hilfe sein soll, wird hier zu etwas, das mich abhängig macht wie ein Chef, der ständig Überstunden fordert und nie frei gibt. Und das eben auch nach Feierabend, am Wochenende und im Urlaub. Worum es mir geht, ist die Tatsache, dass ich beobachte, wie es mir gleichzeitig immer schwerer fällt, meine Freizeit als wirklich freie Zeit zu nutzen.

Diese Versuchungen der Technik zu bemerken, ist vielleicht ein Anfang. Ich habe mir vorgenommen, dass ich in solchen Momenten, in denen ich die Schlagzeile des Tages zum dritten Mal lese oder das Handy zücke, um Mails abzufragen, überlege, was ich stattdessen aus dem heutigen Abend machen kann. Mein Leben ist mehr als arbeiten und Informationen sammeln. Ich kann über meine Zeit verfügen und sie gestalten: mit schöner Musik, mit einem Buch, einem Film oder mit einem interessanten Gespräch.

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