SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Seit dem Terroranschlag auf die französische Zeitschrift „Charlie Hebdo“ diskutieren viele über den Islam. Für mich ist es aber auch eine Frage, wo die Grenzen des Humors und der Satire sind. Und ob es hier überhaupt eine Grenze geben soll.

Manche meiner Bekannten meinen, dass man Gott und die Religion aus der Satire und den Karikaturen der Zeitungen ausklammern müsste, um keine religiösen Gefühle zu verletzen. Viele fühlen sich in ihren religiösen Gefühlen verletzt, wenn sie denken, dass man Gott verletzt. Aber ich frage mich, wie das überhaupt gehen soll. Kann man Gott etwa beleidigen? Zum Beleidigen gehören doch immer zwei: Einer, der den anderen provozieren oder verletzen will und einer, der sich dann davon beleidigen lässt. Aber ob ich mich beleidigen lasse, durch ein Wort, ein Bild oder durch eine Person, die mich verletzen will, das ist doch meine Entscheidung. Ähnlich wie ich ein Kompliment oder ein Liebesgeständnis annehmen oder ablehnen kann, kann ich das ja mit einer Beleidigung auch machen. Sie quasi ins Leere gehen lassen. Ich würde mich sogar für zickig halten, wenn ich mich allzu schnell beleidigen lassen würde. Um mich wirklich zu beleidigen, müsste jemand über mich oder meine Freunde als Person abschätzig reden, nicht bloß über eine Eigenschaft von mir.

Die Frage ist nur, ob wir Menschen Gott, oder einen Propheten und andere Menschen generell überhaupt degradieren können. Auch das liegt ja wieder daran, wie sie damit umgehen. Ich sehe da einen direkten Zusammenhang mit der Hinrichtung Jesu. Er ist in meinen Augen mindestens ein Prophet, ein Gesandter Gottes. Bei seiner Hinrichtung wird er verspottet mit Dornenkrone, Zepter, Mantel und einem Schild am Kreuz. Aber er reagiert überhaupt nicht so, als ob ihn das degradieren würde. Er reagiert laut Bibel höchst souverän und bittet Gott um Verzeihung für die, die ihn verspotten.

Der Schriftsteller Kurt Tucholsky hat Recht. Er sagt, dass Satire alles darf. Ich denke nicht, dass Gott oder irgendein Mensch sich beleidigen lassen muss. Wer verzeihen kann, zeigt hier echte Größe und Souveränität. Ich muss nicht fröhlich darüber sein, aber ich muss mich auch nicht beleidigen lassen. Ob ich mich beleidigen lasse, kann ich selbst entscheiden. Gott kann das sicher auch. Wenn also der Gedanke kommt, „da könnte ich mich schon wieder drüber aufregen“, sage ich mir: „Ich könnte, aber niemand zwingt mich dazu.“

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