SWR3 Gedanken

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Wenn ich gestresst von der Arbeit heimhetze, noch nicht mal die Jacke aus, schon ein Baby in den Arm gedrückt bekomme und an der freien Hand vom anderen Kind ins Spielzimmer gezerrt werde, dann denke ich manchmal: Mystiker müsst man sein!

Total im Hier und Jetzt leben: Wenn ich mir die Schuhe binde, völlig fokussiert sein auf die Schuhbändel. Aufmerksam sein für die kleinen Dinge, die sich mir anbieten. Eins sein mit mir und der Umwelt – das alles stelle ich mir total schön vor. Aber es ist verdammt schwierig mit einem Kind auf dem Arm und einem an der Hand, mit einem Kalender voll Terminen und einer To Do Liste, die nie ganz leer wird.

Von Mystik spricht man, wenn ich mitten in der Welt etwas Religiöses erlebe. Oder wenn ich eine Ahnung von Gott bekomme, nicht erst im Tod, sondern mitten im Leben. Das geht natürlich einfacher wenn ich bereit bin, Gott auch zu begegnen, wenn ich ruhig und aufmerksam bin. Und alle, deren Tagesablauf etwas hektischer ist? Krankenschwestern, Börsianer, Alleinerziehende oder ich? Können wir keine religiösen Erfahrungen machen?

Das kann ich mir nicht vorstellen. Und Meister Eckhart, ein Mystiker aus dem Mittelalter, der bestärkt mich. Er sagt: „Gott ist nicht irgendwo außerhalb von dir, sondern in dir, dein Eigentum. Du brauchst ihn nicht zu suchen, denn er sitzt schon im Wartezimmer deines Herzens.“ OK, da scheinen mir hauptberufliche Mystiker im Vorteil zu sein. Aber trotzdem: wie kann auch dem gestressten Familienvater eine Erfahrung mit Gott gelingen?

Wahrscheinlich ist es gut, Gott in allem zu sehen, was mich freut: im zuckersüßen Blick des Babys, das ich gerade rumschleppe. Oder in den berühmten strahlenden Kinderaugen. Oder in den 5 Minuten,  wo ich kurz mal die Beine hochlegen kann. Puh, gar nicht so leicht, ein Mystiker zu sein.

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