SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Ich glaube ich muss zum Augenarzt. Ab und zu kneife ich beim Lesen abwechselnd ein und dann das andere Auge zu. Für das linke Auge muss ich das Buch schon ziemlich nah herholen, für das rechte ist der ausgestreckte Arm gerade richtig.

Der Theologe Wolfgang Raible sagt, dass es im übertragenen Sinn ganz praktisch sei, gleichzeitig kurz- und weitsichtig zu sein. Als kurzsichtig bezeichnet er Menschen, die eher ihre unmittelbare Umgebung wahrnehmen. Also Familie, Nachbarschaft, ihre Stadt und ihr Land, vielleicht auch noch das Land für den nächsten Urlaub. Das hat Vorteile: Die „Kurzsichtigen“ spezialisieren sich auf das bekannte Terrain. Sie belasten sich nicht mit globalen Problemen.

Die Weitsichtigen sind laut Wolfgang Raible diejenigen, die gerne große Pläne machen, immer schon einen Schritt voraus sind. Es kann reizvoll sein, schon heute auf morgen vorbereitet zu sein, zu wissen, was wo gerade läuft.

Für beide, die Kurz- und die Weitsichtigen, empfiehlt Wolfgang Raible eine spezielle Brille, um eine andere Perspektive zu bekommen. Als Seh-Hilfe könnten zwei Geschichten von Jesus helfen. Für alle Kurzsichtigen empfiehlt Raible das Gleichnis vom Senfkorn: in der Hand sieht es nur ganz klein und unscheinbar aus, aber es wächst eine stattliche Pflanze daraus. Das bedeutet, für die Kurzsichtigen lohnt sich der Blick auf die großen Ziele. Er kann davor bewahren, zu kleinkariert, zu beschränkt zu denken.

Und den Weitsichtigen könnte die Geschichte vom barmherzigen Samariter weiterhelfen. Ein Mann wurde überfallen und braucht Hilfe. Der Samariter läuft nicht an ihm vorbei, wie einige vor ihm, sondern er sieht und weiß, was ansteht. Er kümmert sich nicht um seine eigenen Pläne, sondern hilft hier und jetzt, weil das gerade dran ist.

Kurz- und Weitsichtigkeit – in diesem Falle zwei Sichtweisen, die einander ergänzen, die es beide braucht. Ob das mein Augenarzt auch so sieht?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19204
weiterlesen...