SWR2 Wort zum Tag

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Auf meinem Bücherregal stehen 3 Heiligenfiguren: Markus, Matthäus und Lukas. Vor einiger Zeit kam ein Gast auf die Idee, die drei zu verkleiden: Mütze auf den Kopf, Schal um den Hals, eine Spülbürste in die Hand. Einen kurzen Moment fand ich das auch witzig und habe dann immer mehr gemerkt, daß es mich verletzt hat. Weil es Heiligenfiguren waren und weil ich sie von jemand bekommen hatte, der mir sehr nahe stand. Jener kreative Gast war auch noch ein Kollege, war Christ, katholisch, Theologe.

Manchmal ahnt einer nicht, was dem andern heilig ist, obwohl er es sogar wissen könnte. Manchmal machen wir uns über etwas lustig, was zum eigenen Traditionsschatz gehört. Es ist wohl das Gefühl: das kenn ich so gut, da steh ich drüber. Ich bin ziemlich sicher, daß der Kollege, wenn er bei Buddhisten zu Besuch gewesen wäre, auf keinen Fall eine Buddhastatue verkleidet hätte.

Humor im eigenen System entlastet. In der Familie, bei der Arbeit, in der Politik, und auch in der Kirche und im Glauben. Es ist gut, einen Blick zu haben für die Komik, die auch da in vielem steckt. Es kann auch angemessen sein, Heilige und ihre Geschichten mal ein bißchen vom Sockel ihrer Vollkommenheit runterzuholen. Konventionen und Tabus zu brechen ist ja sogar ein wichtiges Element der Botschaft Jesu. Gleichzeitig brauchen wir Gespür für Heiliges. Für heilige Orte, Bilder, Texte, und Symbole. Wo wir nicht Hand anlegen, um etwas lächerlich zu machen. Im persönlichen Umgang entwickelt sich so ein Gespür erst allmählich. Nicht immer weiß ich im voraus, was dem andern heilig ist. Manchmal merke ich ja erst, wenn er protestiert, daß ich da eine Grenze überschritten habe. Denn vieles ist heute nicht mehr durch Konventionen geschützt, und vor allem empfinden wir nicht alle gleich.

Mir scheint, auch unsere Gesellschaft, auch die Christen tun sich schwer, die Balance zu finden: Der kreative Blick ist nötig, der auch ein bißchen respektlos ist und Scheinheiligkeit entlarvt. Gleichzeitig gehört ein Respekt vor Heiligem zu uns Menschen, noch weit vor jedem Bekenntnis zu einer Konfession.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19201
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