SWR4 Abendgedanken

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Dieses Jahr wäre meine Oma 100 geworden. Sie ist mit 89 Jahren verstorben. Zu Hause im Kreis der Familie. Und im Kreis der Familie wollen wir auch ihren 100. Geburtstag als Erinnerungstag an sie feiern.

Wir wollen uns treffen und Oma feiern, so als ob sie mittendrin und bei uns dabei wäre. Vielleicht werden wir Fotos anschauen, ihren Lieblingskuchen backen und Geschichten über sie austauschen. Wir wollen Oma hochleben lassen, und auf diese Weise Danke sagen, dass sie bei uns war. Oma fehlt mir.

Ja, sie fehlt mir schon. Besonders dann, wenn es etwas zu feiern gibt in der Familie. Bei meiner Hochzeit zum Beispiel habe ich sie sehr vermisst, bei der Taufe unseres Neffen auch, in der Zwischenzeit hätte sie sogar schon einen Urenkel.

Aber sie fehlt mir auch, wenn ich traurig bin und sie zum Reden brauche. Dann stelle ich mir vor, wie sie vor mir steht, mit ihren geflochtenen langen Haaren und ihrer freundlich wippenden Brille auf der Nase. Bestimmt sagt sie dann: „Es wird schon wieder alles gut. Bete nur.“ Das hat sie meistens gesagt wenn ich sie traurig angeschaut habe. Sie hat fest an das Gute geglaubt. In jedem Menschen. Besonders ihr Gott-Vertrauen war stark. Dazu fällt mir die Geschichte mit dem Baum ein. Ich bin als Kind immer mit meiner Oma zum Milchholen gegangen. Damals war das ein weiter Weg zu Fuß  - zweimal in der Woche zum benachbarten Bauernhof. Auf dem Weg dorthin mussten wir einen steilen Anstieg nach oben nehmen Ich kann mich sehr gut daran erinnern, wie wir immer geschnauft haben. Ganz oben auf der Höhe stand ein Baum. Ich glaube, es war ein Apfelbaum. Und an diesem Baum haben wir jedes Mal eine Pause gemacht. „Wir rasten jetzt hier“, hat Oma gesagt. „Nur ein paar Minuten“. Ich fand es nicht immer so toll, ich wollte ja bald weiter und schnell wieder heim. Aber es war nichts zu machen. Oma bestand auf dieser Pause. Sie hat sich an den Baum angelehnt, einmal kräftig durchgeatmet und zufrieden um sich geschaut. Nach zehn Minuten sagte sie dann immer: „In Gottes Namen - gehen wir weiter“. Da war es wieder, ihr starkes Gottvertrauen.

Heute denke ich gerne an diese Pausenzeit mit Oma. Ja, es war eine richtig schöne Zeit mit ihr. Den Apfelbaum gibt es schon lange nicht mehr. Aber ich kann mich noch gut an seinen festen Stamm und seine weiten Äste erinnern. Ein Baum, zum Anlehnen und Ausruhen. Wie meine Oma. Es fallen mir noch viele schöne Momente mit meiner Oma ein. Und all diese Erinnerungen begleiten mich auf meinem Lebensweg. Sie machen mein Leben reich. Ich bin dankbar, so eine Oma gehabt zu haben. Und ich bin gespannt, welche Geschichten uns noch einfallen werden an ihrem 100. Geburtstag. 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19188
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