SWR4 Abendgedanken

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27. Januar 1945: Das Konzentrationslager Auschwitz wird befreit. 70 Jahre ist das jetzt her. Mit der Erinnerung an die Naziverbrechen und ihrer Opfer tun sich manche schwer und ich kann das verstehen. Es ist kein schönes Thema und auch ich möchte mich am liebsten davor drücken. Aber: „Wer sich der Opfer erinnert, ist ein Nachbar von Gott.“ Dieser Satz geht mir nicht aus dem Kopf. Er stammt von dem verstorbenen Bischof Henri Derouet, er war Bischof von Arras in Nordfrankreich. Er sprach ihn auf einer Gedenkveranstaltung bei uns in Koblenz am 27. Januar 1998.

„Wer sich der Opfer erinnert, ist ein Nachbar von Gott.“ Bischof Derouet war selbst als Junger Mann Zwangsarbeiter in Deutschland und so Opfer des Nationalsozialismus geworden. Er erzählte uns: „Es traf sich, dass ich in Lagern gelebt habe, die sich bei Lagern befanden, wo junge Jüdinnen aus Mitteleuropa versammelt worden waren. Sie lebten unter schrecklichen Bedingungen. Ich habe an Gott gezweifelt. Ich habe mir die Frage gestellt: Wie kann Gott solche Leiden dulden und Unschuldige in den Händen solcher Henker lassen?“  Aber genau diese verzweifelte Frage hat Derouet  zum Glauben geführt. Er erzählte weiter: „Ich habe mir gesagt, an einen fernen Gott, der den Leidenden und Opfern gleichgültig ist, kann ich nicht glauben. Aber ich bin bereit, einem Gott zu folgen, der Mensch geworden ist und wie meine jüdischen Schwestern gedemütigt wurde, der wie sie unschuldig zum Opfer wurde.“ Für Derouet wurde das zur wichtigsten Erkenntnis seines Lebens. Gott wurde in Jesus selbst Opfer, er leidet mit den Opfern, er stellt sich auf ihre Seite. Und deshalb, auch wenn es nicht leicht fällt, sich die Gräueltaten der Nazis vor Augen zu führen: Wer sich der Opfer erinnert, ist ein Nachbar von Gott.

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