SWR2 Wort zum Tag

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Ich überlege und denke nach über die Ereignisse in Paris – wie so viele in diesen Tagen. Es hat so viel damit zu tun, wie wir uns unsere Gesellschaft in Europa vorstellen und es hat sehr viel damit zu tun, woran wir glauben, mit Religion und unseren Werten.

Am meisten hat mich die Solidaritäts-Demonstration am vergangenen Sonntag in Paris beindruckt. Natürlich war da erst mal die ungeheure Zahl von 1,5 Millionen Menschen und einer weiteren Million in anderen französischen Städten. Vor allem aber hat mich die Atmosphäre berührt, die aus diesen Bildern sprach. Da war kein Hass auf die Attentäter und auf die Islamisten dieser Welt zu spüren, auch kein Islam-Feindlichkeit, sondern schlicht Solidarität mit den Opfern und mit ihren Angehörigen. Und gleichzeitig hatte es etwas wehrhaftes und die Botschaft lautete: Wir verteidigen unsere Werte und wir wollen die Freiheit, uns ausdrücken zu können und dieses Streben ist mächtiger als jede Gewalt und Angst.

Mir scheint, darin liegt ein Schlüssel für die Lösung so vieler Probleme, denen wir in dieser Zeit gegenüberstehen: Die Angst zu überwinden. Darin liegt auch der entscheidende Unterschied der Demonstration von Paris gegenüber den „Pegida“-Demonstrationen in Dresden. Die „Pegida“-Bewegten sind von Angst geleitet, vor der sogenannten „Überfremdung“, vor Verlust der Identität. Darin ähneln sie in frappierender Weise den islamistischen Fundamentalisten. Die Bewegten von Paris waren aber von etwas geleitet, was man früher Tapferkeit nannte. Sie stehen auf und sagen: „so nicht“, aber ohne Rachegefühle und ohne Hass.

Die französische Gesellschaft ist tief gespalten und darin ist sie auch ein Symbol für die Spaltung anderer europäischer Gesellschaften und der sogar der Menschheit. Am vergangenen Sonntag habe ich aber Hoffnung bekommen, dass es eine Chance auf Heilung gibt. Dass Versöhnung und Annäherung vielleicht möglich sind. Dass die bedrückende Ausgrenzung in Vorstadt-Ghettos vielleicht aufgebrochen werden kann. Dass es nicht mehr nur die einen sich diskriminiert fühlen müssen und die anderen bedroht. Dass unter den Muslimen der Wunsch stärker wird, nicht länger den Außenseitern die Schlagzeilen zu überlassen, die Gewalt mit ihrer Religion legitimieren. Es wird sich jetzt zeigen müssen, wie lange es trägt, dass die Franzosen und viele andere geschockt und betroffen sind.

Wie schön wäre es, wenn die Inspiration, die daraus erwächst, weiter tragen könnte in eine bessere, gemeinsame Zukunft.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19063
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