SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Jeden Tag machte sie für den Teufel eine Kerze an. Betete nicht zu ihm, sondern für ihn.

„Es gibt ja sonst niemand, der für ihn betet“. So sagte sie. Für den Teufel beten, selbst ihn nicht ganz für verloren halten, für die alte Frau in einer russischen Erzählung eine alltägliche Aufgabe. Versponnen und naiv für die einen, ärgerlich und blasphemisch für die anderen. Für sie schlicht selbstverständlich.

Für jemanden beten hieß für sie, niemanden vor Gott ausschließen und selbst das Unmögliche vor ihn bringen. Nichts gibt es vor ihm, was nicht genannt sein dürfte.

Für jemanden eine Kerze aufstellen, an jemanden vor Gott denken, so beten kann jeder.

Ich denke an alle, denen kalt ist. Die von innen frieren, die es schwer mit sich selbst haben und alles mit sich allein ausmachen. Die habe ich vor Augen, die sich schützen

mit immensem Aufwand, deren Lächeln Maske ist, Schutz vor Tränen, die man niemandem zumutet. Eine Kerze für alle, die sich mit Gewalt zusammenreißen.

Für alle, die auf der Flucht sind, ihre Heimat verlassen mussten und oft spüren müssen

das sie bei uns nicht allen willkommen sind.

Für alle, die man leicht mit Parolen locken kann, die Rattenfängern hinterlaufen nicht differenzieren können und wollen.

Ein Licht soll brennen für die, die von der Liebe verwundet wurden. Die vor Trümmern stehen, die sprachlos wurden, sich fremd und fern.

Für alle, auf die man mit Fingern zeigt.

Für alle Moralapostel und ewigen Besserwisser.

Für alle, die an Krankheiten leiden, über die man nicht spricht.

Menschen gibt es genug, an die ich denken könnte, um meinen Blick zu weiten, um nicht nur um mich selbst zu tanzen gerade, wenn es mir gut geht.

Auch an die, die da sind, wenn sie gebraucht werden, die ohne Applaus zuhören

und ihr Gesicht zeigen. An alle, deren Lebenslust aufrichtet und heilt, an die man sich anlehnen kann und die wir brauchen wie die Luft zum Atmen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19034
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