SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Wie lange habe ich mich innerlich auf diesen Moment vorbereitet. Auf den Moment, in dem ich zum ersten Mal nach der Beerdigung wieder am Grab meiner Oma stehen werde. Ich habe mich auf alles eingestellt: Dass mich die Trauer überfällt und ich sehr weinen muss. Dass ich traurig werde, weil ihr Grab vielleicht nicht schön genug aussieht. Dass es mir furchtbar weh tut, dass meine geliebt Oma in diesem dunklen kalten Grab liegen muss.

Und dann stehe ich vor dem Grab und fühle – NICHTS. Keine Trauer, keine Verzweiflung, keinen Schmerz. Es ist eher so, als würde ich an einer Haustür klingeln und es ist niemand da. Ich lege die mitgebrachten Blumen ab und schaue automatisch zum Himmel hoch. Dabei liegt meine Oma doch genau vor mir unter der Erde. Aber mein Gefühl sagt mir, dass sie da nicht ist.

Auf dem Heimweg denke ich die ganze Zeit darüber nach, warum das so eigenartig war. Und ich fange ganz selbstverständlich an, in Gedanken mit meiner Oma zu sprechen. Ich frage sie, wo sie ist. Ob sie es komisch findet, dass ich an ihrem Grab nicht geweint hab. Oder mir gar böse ist, dass ich nicht weinen konnte.

Und während ich mich so in Gedanken mit meiner Oma unterhalte, wird mir klar, warum ich mich ihr an ihrem Grab nicht näher gefühlt habe als sonst. Weil sie mir immer nahe ist. Das Grab ist eine Ruhestätte für ihren sterblichen Körper. Und eine Erinnerungsstätte für uns Angehörige und Freunde. Aber nicht der Ort, an dem ich ausschließlich meiner Oma nahe sein kann. Kein Ort, an den sie gefesselt ist.  „Unsterblichkeit der Seele“, was für große Worte. Was das theoretisch bedeutet, ist ja die eine Sache, aber in diesem Moment hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, die Bedeutung zu erfassen.

Das Grab ist ein schöner Ort. Ein sehr friedlicher und beruhigender Ort. Aber die Nähe zu meiner Oma ist nicht daran gebunden. Weil ich glaube, dass ihre Seele und ihr ganzes Sein bei Gott aufgehoben ist. Und sie mir dadurch immer noch nahe sein kann. Nicht nur am Grab, sondern in meinen Gedanken, Erinnerungen, meinem Herzen. In meinem Leben.

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