SWR2 Wort zum Tag

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Weihnachten ist vorbei. Die Weihnachtslieder sind verklungen. In den Städten werden die Lichterketten abgenommen. Die Geschenke sind ausgepackt und weggeräumt, und die Besucher abgefahren. Jetzt, so singt ein irisches Lied, beginnt das Werk von Weihnachten.

Wenn der Gesang der Engel verstummt ist,
wenn der Stern untergegangen ist,
wenn die Könige und Fürsten heimgekehrt,
wenn die Hirten mit ihren Herden fortgezogen sind,
dann beginnt erst das Werk von Weihnachten:
die Verlorenen finden,
die Zerbrochenen heilen,
den Hungernden zu essen geben,
die Gefangenen freilassen,
die Völker aufrichten,
den Menschen Frieden bringen,
in den Herzen musizieren.

Die Verlorenen finden. Wer sind Verlorene? Diejenigen, die ihren Ort nicht mehr haben, die von ihren Eltern oder auch von ihren Kindern getrennt wurden, die in der Masse der Flüchtlinge keinen Namen haben. Wie die Verlorenen finden? Wir müssen sie suchen: einzelne Gesichter sehen und einzelne Geschichten hören wollen, uns für sie interessieren, obwohl ihre Zahl so unermesslich groß ist.

Die Zerbrochenen heilen. Menschen können zerbrechen, wenn eine Beziehung scheitert, wenn eine Schuld sie belastet, wenn sie schwer erkrankt sind. Zerbrochene sind ganz sicher all diejenigen, die Gewalt und Folter mit ansehen mussten, die ihre eigenen Verletzungen und Qualen überlebt haben und nun Opfer ihrer schrecklichen Erinnerungen sind. Wie die Zerbrochenen heilen? Zuerst müssen wir sie suchen, ihnen zu verstehen geben, dass sie uns ihre Geschichte anvertrauen können.

Die Völker aufrichten, den Menschen Frieden bringen.In Syrien, im Ostkongo, in Nigeria, in Mexiko, auf den Philippinen, im Irak, in der Türkei, in der Ukraine. Unmöglich, alle Orte aufzuzählen, an denen Menschen von Gewalt und Zerstörung heimgesucht werden. Wie die Völker aufrichten und ihnen Frieden bringen? Das Werk von Weihnachten, das beginnt, wenn das Feiern endet, stellt uns vor eine unlösbare Aufgabe.

Die Verlorenen finden heißt, ihren verlorenen Geschichten Raum geben. Die Zerbrochenen heilen heißt, sie aus dem Schweigen befreien, unter dem sie zerbrechen, und ihre Geschichten erzählen. Ein solches Erzählen steht am Beginn der Evangelien. Sie erzählen nichts anderes als die Geschichte eines Opfers. Sie unterbrechen ein großes Schweigen. Die Enttäuschung durch das Ende des Jesus von Nazareth, seine Hinrichtung, die Angst vor Verfolgung durch die, die ihn hingerichtet hatten, all das legte es nahe, still zu bleiben, sich im Schweigen zu verbergen. Aber der Wunsch, den Verlorenen zu finden, war zu hartnäckig. Die Frage, wer dieser Jesus von Nazareth war, ließ sich nicht unterdrücken. Erinnerungen an ihn wurden gesammelt wie die Steinchen eines kostbaren Mosaiks. Und sie wurden zusammengefügt zu einer Geschichte. Als Erstes wurde seine Demütigung erzählt, sein schreckliches Ende, Folter, Prozess, Hinrichtung, seine Einsamkeit. Dann Szenen aus seinem Leben, Gespräche und Taten. Und schließlich als Letztes seine Geburt, die wir an Weihnachten feiern.

Das Werk von Weihnachten beginnt, wenn die Feiern enden. Wir tun es, wenn wir nach dem Vorbild der Evangelien die Geschichten der Opfer erzählen und hören.

Wie in den Evangelien wird in diesen Geschichten das Dunkel durchquert, um auch immer mehr von dem Leben zu hören und zu erzählen, wo es angefangen hat, voller Hoffnung wie jedes Leben. Dem immer wieder beginnenden Leben in uns eine Stimme zu geben, darum geht es auch in diesem neuen Jahr.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18937
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