SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Was ist die Zeit? Wann, wenn nicht heute, am Ende des alten Jahres, drängt sich diese Frage auf? Eine eigentümliche Spannung besteht zwischen dem, woran wir uns erinnern und was doch unwiderruflich vorbei ist, und dem, was noch ungewiss vor uns liegt und wovon wir uns doch Glück und Freude erwarten. Wir wissen, wie begrenzt das Leben ist; gleichzeitig fühlen wir vage, aber unabweisbar, dass unbegrenzte Möglichkeiten vor uns liegen. Wie oft stellt sich der Wunsch ein, die Zeit zu dehnen.

Dem Leben mehr Zeit geben! Aber welchem Leben? Die Frage wird heute immer intensiver diskutiert. Lebensverlängernde Maßnahmen? Ja, aber um welchen Preis? Selbstbestimmtes Beenden des Lebens? Wer ist Herr über das Leben? Und noch einmal: Um welches Leben geht es? Welchem Leben soll mehr Zeit gegeben werden?

Wie ist es, wenn wir den Satz umdrehen: Es geht darum, der Zeit mehr Leben zu geben! Das hörte ich in einer Rundfunksendung. Unter dem Thema „Von Kindern sterben lernen“ wurde ein Kinderhospiz vorgestellt. Dort ist das Wort bestimmend: „Nicht dem Leben mehr Zeit, sondern der Zeit mehr Leben geben“. Ich hörte, was der Journalist im Kinderhospiz in Olpe sieht: „In der Turnhalle liegen Matten zum Toben, es gibt Kletterstangen und Bälle. Zwei Kinder spielen mit einer Mitarbeiterin Fußball, zwei Jungen im Rollstuhl schauen dabei zu. Jedes Kind und jeder Jugendliche, die hier ihre letzte Lebenszeit verbringen, dürfen bis zuletzt tun, was ihnen Freude macht, sie können Eltern, Geschwister und Freunde mitbringen. In diesem Haus flüstert man nicht und man spricht auch nicht ständig über Tod und Sterben. Es wird gelacht, gemalt, vorgelesen, Fernsehen geschaut, laute Musik gehört – das ganz normale Leben bis zum Ende.“

Es kommt nicht auf die Dauer eines Lebens an, und auch nicht darauf, zu wieviel Bedeutung jemand in seinem Leben gekommen ist. Es kommt nicht auf die Länge der Zeit an, die wir leben, und auch nicht nur auf die Taten und Gedanken, zu denen wir fähig waren. Das alles ist es nicht, was der Zeit, die uns geschenkt ist, mehr Leben gibt. Es ist die Zustimmung dazu, dass wir eines Tages nicht mehr sind. Wenn wir zustimmen zu sterben, kann uns das innerlich leicht machen und fähig zur Freude an all dem, was die Gegenwart uns zu schenken vermag.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18935
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