SWR4 Abendgedanken
SWR4 Abendgedanken
Zum Advent eine Geschichte von Aljoscha, Gottes kleinem Lieblingsengel
Aljoscha liebte es, am Nikolausabend durch
die Straßen zu streifen. Überall sah er Männer mit
langen falschen Bärten von Haus zu Haus gehen,
Messgewänder oder Chormäntel waren bei
den Pfarrern ausgeliehen worden, man trug Mitra aus Pappe
und zog mit selbstgemachten Hirtenstäben zu den Familien.
Aljoscha sah diese Sorte von Nikoläusen gerne,
denn sie erinnerten daran, dass der große Heilige
einst Bischof war. Schließlich kannte er den echten Nikolaus
ja nun schon seit Jahrhunderten
und der lauschte mit Vergnügen den Geschichten,
die ihm Aljoscha von seinen irdischen Streifzügen jedes Jahr mitbrachte
Eine Geschichte hatte ihn besonders amüsiert.
Sie hatte sich vor über zwanzig Jahren in Bonn abgespielt.
Abiturienten hatten damals einen Nikolausservice auf
die Beine gestellt, und einer von ihnen war zum Privathaus
eines hohen Ministerialbeamten bestellt worden.
Dieser Herr empfing ihn an der Tür,
führte ihn in den Flur und erteilte ihm
weitschweifig detaillierte Regieanweisungen
für seinen bevorstehenden Auftritt. Der verkleidete Nikolaus
wurde auf die Geschenke hingewiesen,
„...dies ist für meine Tochter Anna, das für
den Sohn Thomas, dies für meine Gattin und das
hier“, und jetzt strahlte der Mann über beide Backen,
„das hier ist für mich.“ Sprach’s und verschwand im
Wohnzimmer, nicht ohne seinem Gast einzuschärfen,
auch ja dreimal an die Tür zu klopfen und das
Glöckchen zu läuten. Der Abiturient in Bischofstracht
nahm tief Luft, bimmelte und trat ins Zimmer.
Gut, dass man ihn nicht sehen konnte – Aljoscha
konnte sich damals kaum halten, bei dem was er
dann zu sehen bekam.
Auf dem Sofa saß die erwähnte Gattin und versuchte,
ein etwa anderthalbjähriges Kind, Thomas,
mit allen Mutterkünsten zu beruhigen. Er schrie
nach Leibeskräften, und der Anblick des bärtigen
Nikolaus hatte alles andere als beruhigende Wirkung.
Etwas ratlos hielt der bestellte Nikolaus nach dem anderen
Kind Ausschau. Er entdeckte Anna in einer wunderbar
geschnitzten Wiege. Anna war höchstens drei
Monate alt und am hohen Besuch nicht im mindesten
interessiert. Mittendrin aber saß Vater mit leuchtenden
Augen, empfing sein Geschenk und den von
ihm selbst vorformulierten Spruch. Als er zu singen
anfing, suchte der junge Nikolaus das Weite. Höflich
versteht sich. „Krasser habe ich nie erlebt,
zu was das sogenannte Kind im Manne fähig sein kann.“
Mit diesem Satz beendete Engel Aljoscha meist seine kleine Erzählung
Der heilige Nikolaus aber nickte dann und strich sich vergnügt über den
echten Bart. Denn er kannte noch viele ähnliche Geschichten.
Und manche von ihnen behielt er schmunzelnd für sich.
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