SWR2 Wort zum Tag

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Warum ich? Warum muss ausgerechnet ich diese Krankheit bekommen? Warum passiert das gerade mir? Als Krankenhausseelsorgerin erlebe ich es oft, dass Patienten genau so fragen. Und als ich vor Jahren selber nach einem Autounfall mit Gehirnerschütterung, ausgeschlagenen Zähnen, aufgerissener Nase und Rippenbruch im Krankenhaus aufgewacht bin, ist mir genau dieser Gedanke gekommen: Das kann doch nicht sein! Normalerweise fahren andere gegen Bäume am Straßenrand. Das soll mir passiert sein?
Unfälle, sind das, wovon man in der Zeitung liest, und Kranke sind die, die man besucht, wenn man Zeit hat. Die anderen also . Aber dass man selbst einmal in so einem Gang vor der Tür sitzt, und dass man selbst einmal denkt: Warum schaut der Arzt so besorgt? Wie soll es jetzt weitergehen? – das ist nicht vorgesehen.
Also: warum ich? Seitdem ich das Buch „Arbeit und Struktur“ von Wolfgang Herrndorf gelesen habe, glaube auch ich, dass die Frage falsch gestellt ist. Wolfgang Herrndorf, der an einem unheilbaren Hirntumor erkrankt war, schreibt an einer Stelle seines Tagebuchs: Ihm sei diese Frage, „Warum ich“ nicht gekommen. “Warum ich? Warum denn nicht ich? Willkommen in der biochemischen Lotterie.“ (181)Was ich an dieser Einstellung bewundere: dass Herrndorf den Mut aufbringt, niemanden an seinem Leid die Schuld zu geben.
Das Paradies liegt hinter uns. Da nützt Protest wenig, und Selbstanklage gar nichts. Warum ich? Lässt sich die Frage überhaupt beantworten? Die Frage zielt ja nicht auf  eine vernünftige Erklärung. Sie geht vielmehr davon aus, dass wir uns so gerne einbilden: ich allein bin eine Ausnahme von der allgemein menschlichen Misere. Und allgemein menschliche Misere heißt eben, das steht schon in der Bibel: Blut und Tränen, Schweiß und Angst, Krankheit und Tod. Auf die Frage: Warum ich? antwortet sie: Ganz einfach, weil du ein Mensch bist.
Man muss keine besondere Schuld auf sich laden, um krank zu werden, um sterben zu müssen. Es ist alles im Rahmen der menschlichen Gegebenheiten ganz normal. Der christliche Glaube lässt keinen Zweifel daran, dass unser Leben kein Paradies ist. Er stellt allerdings in Aussicht, dass es wieder eines werden kann. So, wie es im Weihnachtslied heißt: Gott „schließt uns wieder auf die Tür zum schönen Paradeis.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18829
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