SWR2 Wort zum Tag

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Für manche ist Toleranz ein hohes Ideal, für andere ein Ausdruck von Schwäche. Für Christen ist Toleranz seit 2000 Jahren ein brisantes Thema. Zunächst mussten sie für sich selbst darum kämpfen, um die Freiheit, ihren neuen Glauben zu bekennen, auch öffentlich, und darum, nicht zu religiösen Praktiken gezwungen zu werden, die sich mit ihrem Glauben nicht vertrugen, z.B. zum Kaiserkult. Um 200 schrieb der Theologe Tertullian: „Jedoch ist es ein Menschenrecht und eine Sache natürlicher Freiheit für jeden, das zu verehren, was er für gut hält“.

Leider haben die Christen solche Sätze später weitgehend vergessen. Im 4. Jahrhundert wurde das Christentum politisch toleriert und war sogar Staatsreligion. Und jetzt unterdrückten Christen mit staatlichen Mitteln die altrömischen Kulte sowie neu auftretende religiöse Gruppen. Bis in die frühe Neuzeit hinein wurden so auch Frauen und Männer aus den eigenen Reihen verfolgt und sogar getötet. Zum Beispiel Jan Hus beim Konzil von Konstanz vor genau 600 Jahren.

Religiöse Toleranz war und ist auch ein politisches Thema. Wie weit müssen Menschen religiös übereinstimmen, damit sie zusammenleben können? In Europa war in dieser Hinsicht das 16. Jahrhundert besonders brisant. Kirchenspaltung und Religionskriege haben gezeigt, dass die konfessionelle Einheit unwiederbringlich verloren war. Sie ließ sich auch durch Zwang nicht aufrechterhalten. Verträge wie z.B. der Westfälische Friede von 1648 regelten zumindest das gleichberechtigte Nebeneinander von Protestanten und Katholiken. Der Gedanke, dass Religionsfreiheit ein Menschenrecht ist, hat sich dann erst im 18. Jahrhundert weiter durchgesetzt. Und 1965 erst erklärte die katholische Kirche durch das Konzil feierlich, „dass die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat“.

So ist der moderne Toleranzgedanke nicht denkbar ohne die christlichen Kirchen. Er hat sich zumindest in Europa entwickelt und weitgehend durchgesetzt sowohl gegen die Kirchen als auch mit ihrer Hilfe. Und heute? Damit, daß wir uns gegenseitig tolerieren, ist viel gewonnen. Aber wir dürfen nicht stehen bleiben beim pragmatischen Dulden. Toleranz ist etwas Lebendiges. Sie gelingt nur, wenn wir immer wieder miteinander reden und aufeinander hören. Interessiert und wertschätzend. Mit einer eigenen Position und bereit sich anfragen zu lassen. 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18706
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