SWR4 Abendgedanken

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Diese Woche ist die ARD-Themenwoche „Toleranz“. Als ich das Begleitheft dazu gesehen habe, ist mir eine Sache aufgefallen, die ich seltsam finde: Unter dem Untertitel „Anders als Du denkst“ sind Bilder zu sehen. Sie zeigen Personen, mit denen ich offenbar tolerant sein soll, weil sie anders sind: Ein Dunkelhäutiger, ein schwules Paar, ein Kind und ein Rollstuhlfahrer.

Aufgestoßen ist mir vor allem der Rollstuhlfahrer. Ich finde es seltsam, dass ich gegenüber Behinderten tolerant sein soll. Als ob Gesundheit der Maßstab für das Normale wäre. Ich will auch nicht aus der Gruppe der Normalos heraus großzügig gegenüber denen sein müssen, die aus irgendwelchen Gründen nicht so sind wie ich. Der Behinderte kann ja mit Sicherheit nichts dafür, dass er so ist, wie er ist. Und das Kind und der Dunkelhäutige auch nicht. Und nach dem, was Wissenschaftler sagen, auch das schwule Paar nicht. Das kanns dann also doch nicht sein, dass sich die zum Maßstab für andere erheben, die so sind wie die Mehrheit. Und dass die Leute, die diese Mehrheit ausmachen, dann tolerant sind gegenüber den anderen, die nicht so sind wie sie. Dass man ihnen - mehr oder weniger großzügig - auch ein Recht auf Leben, Entfaltung, Glück und Liebe zugesteht.

Weder ich noch sonst jemand ist das Maß aller Dinge. Wenn ich sagen will, was normal ist, müsste ich ja  erstmal das Normale bestimmen können – quasi den Durchschnitt bilden. Aber ich kann nicht verstehen, warum der Durchschnitt das Maß aller Dinge ist, das zeigt, wie die Menschen sein sollen.

Was ich allerdings auch kenne, ist, dass ich mich unsicher fühle, wenn ich mit Leuten zu tun habe, die ganz anders sind als ich. Zum Beispiel wenn ich mit einem behinderten Menschen zu tun habe und nicht weiß, wie ich ihm begegnen soll, was ich sagen oder tun soll. Da hilft mir gar nichts, dass ich weiß, dass ich vergleichsweise normal bin. Und schon gar nicht, dass ich mir vornehme, jetzt tolerant zu sein, wenn ich doch nicht weiß, was ich konkret machen soll. Ich habe in so einer Situation mit einem Behinderten aber auch schon mal einfach gesagt: „ich weiß grade nicht, was ich jetzt machen soll“. Der Behinderte hat mir dann aber gezeigt, dass genau das das Richtige ist: Solange ich einem Menschen noch zeige, dass ich ihn gern habe und achte, ist das Ehrliche meistens schon das Richtige.

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