SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Kindergartengottesdienst zu Sankt Martin. Staunende Kinderaugen folgen dem Bettler auf seinem Weg durch die Kirche. Schäbig sieht er aus, nur Fetzen umhüllen seinen Körper. Kein Wunder, dass er friert. Während sich der Bettler erschöpft auf den Stufen des Altars niederlässt, öffnet sich die Tür der Sakristei.
Auf einem Steckenpferd reitet einer rund um den Altar. Prächtig sieht er aus. Dem geht es richtig gut. Das sieht man. Vor allen Dingen an dem großen roten Mantel, den er um die Schultern trägt. Vor dem Bettler auf den Altarstufen macht er Halt.
„Ich friere“, sagt der Bettler. „Aha“, sagt der Reiter. „Kannst du mir helfen?“, fragt der Bettler. „Nö“, sagt der Reiter und gibt seinem Steckenpferd die Sporen. Staunende Kinderaugen folgen dem Reiter in seinem prächtigen roten Mantel, der gemächlich in der Sakristei verschwindet. Die Tür geht zu.
Aus staunenden Kinderaugen werden finstere Kinderaugen. Das geht ja gar nicht. Da hat einer mehr als genug und gibt nichts ab an einen, der es nötig hat. Das können unsere Kinder gar nicht fassen. Lautstark holen wir den Reiter wieder aus der Sakristei und stellen ihn zur Rede. Der sieht es endlich auch ein und teilt seinen Mantel mit dem Bettler. Die Welt ist wieder in Ordnung.
Abends beim Laternenumzug. Der Till hat keine Laterne. „Darf ich deine ein Stück tragen?“ fragt er den Julian neben sich. „Nö“, sagt der, „das ist meine.“ Siehe da, die Welt ist eben doch nicht in Ordnung. Offensichtlich ist Teilen viel leichter, wenn es um anderer Leute Eigentum geht und nicht um meines. Und das nicht nur im Kindergarten.
Das mit dem Teilen ist so eine Sache für sich. Bei den Kleinen und den Großen. Dabei gibt es genügend Menschen, die mehr als genug haben, und andere, die es bitter nötig haben. Da ist Teilen halt einfach der beste Weg. Damit die Welt irgendwann in Ordnung ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18644
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