SWR3 Gedanken

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Der Fall der Berliner Mauer vor fünfundzwanzig Jahren hat etwas mit großer Weltpolitik zu tun. Aber auch mit normalen Menschen. Wie zum Beispiel mit Harald Jäger. Am 9. November 1989 hat er Dienst als Leiter der Grenzübergangsstelle Bornholmer Straße in Ost-Berlin.
Seit seinem achtzehnten Lebensjahr hat Harald Jäger die Uniform der Grenzpolizei aus Überzeugung getragen, war ein linientreuer Staatsdiener der DDR. Bis zu jenem Abend hatte er eigentlich keine Zweifel an dem System, für das er steht.
Nun aber wird Harald Jäger von den Ereignissen überrollt. Eine immer größer werdende Menge von Menschen versammelt sich vor dem Schlagbaum und fordert lautstark die Ausreise. Hektisch wird telefoniert, eindeutige Befehle sind nicht zu bekommen. Schließlich entscheidet Harald Jäger auf eigene Faust, die Grenze zu öffnen. Innerhalb kurzer Zeit passieren über 20.000 Menschen die Grenze nach West-Berlin.
Mittlerweile ist die Berliner Mauer Geschichte. Das wäre sie vermutlich auch ohne Harald Jäger. Aber wegen seiner eigenmächtigen Entscheidung ging der Mauerfall in der Bornholmer Straße ohne jede Gewalt über die Bühne. An jenem Abend des 9. November 1989 waren Harald Jäger die Menschen wichtiger als Befehle, war ihm sein Gewissen mehr wert als das System, hat er mehr auf sein Herz gehört als auf seine Vorgesetzten.
Im richtigen Moment hat Harald Jäger die richtige Entscheidung getroffen. Und damit hat er seinen Beitrag geleistet, dass eine Mauer gefallen ist. Mauern gibt es noch immer in unserer Welt. Mauern zwischen Menschen, zwischen Völkern, zwischen Religionen. Wenn Menschen auf ihr Herz hören, wenn das Gewissen eine Rolle spielt, wenn Menschen mehr wert sind als Befehle, dann steigen die Chancen enorm, dass die Berliner Mauer nicht die letzte war, die in unserer Welt gefallen ist.

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