Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Es ist fantastisch, was Menschen erreichen können, wenn sie sich zusammentun, wenn sie gemeinsam einen Traum verfolgen! Heute, am 9. November, muss ich daran besonders denken: Vor 25 Jahren ist in Berlin die Mauer gefallen. Tausende tanzten damals auf diesen Steinen herum, die eben noch so unüberwindbar schienen, und in Ost und West konnten die Menschen es kaum glauben. Erreicht aber haben den Mauerfall die Menschen, die sich zusammengetan haben damals, die demonstriert haben in den Wochen und Monaten vorher. In Leipzig und anderswo sind sie Montagsabends durch die Straßen gezogen, mit Kerzen und Transparenten. Und sie haben dabei durchaus etwas riskiert, das vergisst man ja heute manchmal. Christian Führer, der damalige Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche - er ist diesen Sommer gestorben -, hat erzählt: „Die Angst war unser ständiger Begleiter“. Aber die Menschen haben ihre Angst überwunden – und sie haben damit auch die Mauer überwunden.

Menschen, die sich zusammentun, können vieles erreichen – Gutes, aber leider auch Böses. Es ist ja schon seltsam, dass heute am 9. November an so unterschiedliche Ereignisse erinnert wird. Am 9. November ist die Mauer gefallen. Aber am 9. November fand eben auch die Reichspogromnacht statt, 1938 im nationalsozialistischen Deutschland. Jüdische Geschäfte, Wohnungen und Synagogen wurden demoliert und in Brand gesetzt. Jüdinnen und Juden wurden verhaftet und ermordet. Der 9. November war auch der Übergang von der Diskriminierung zur systematischen Verfolgung der Juden. Über sechs Millionen Juden wurden bis 1945 umgebracht. 

Die Novemberpogrome, sie waren zwar vom nationalsozialistischen Regime organisiert und gelenkt. Aber: Es haben eben auch Menschen mitgemacht, Menschen wie Sie und ich, tausende von Menschen. Sie haben Schaufenster eingeschlagen, Wohnungen geplündert und johlend andere Menschen durch die Straßen getrieben. Wie furchtbar muss das gewesen sein, heute vor 76 Jahren. Auch das kann passieren, wenn Menschen sich zur Menge zusammenschließen. 

Menschenmassen: Die können Mut machen zu besonders guten Taten, wie damals in der DDR 1989. Aber sie können auch dazu verführen, dass man gemeinsam furchtbar böse Taten begeht, wie 1938. Ich bete heute, am Sonntag, besonders darum, dass wir uns in Deutschland nie wieder zu bösen Taten zusammenrotten. Sondern stattdessen immer mehr Mut haben zu gemeinsamen guten Taten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18624
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