SWR2 Wort zum Tag

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„Und Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen“, so lautet einer der tröstlichsten Sätze der Bibel. Er steht im letzten Buch des Neuen Testaments, der Geheimen Offenbarung des Johannes, sie wird auch Apokalypse genannt. Ein unbekannter Verfasser hat dieses Buch geschrieben, um das Jahr 100 nach Christus. Hintergrund sind wohl schwere Christenverfolgungen unter dem römischen Kaiser Domitian. Domitian verlangte, daß alle seine Untertanen ihn als Gott verehrten. Viele, die sich geweigert haben, diesen Kaiserkult zu vollziehen, wurden gefoltert und umgebracht.

„Und Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen“, dieser Satz, den ich heute als sehr persönlich empfinde, war damals auch ein politischer Satz. Er bedeutete nämlich: Nicht der Kaiser hat das letzte Wort und die größte Macht, sondern Gott. Und Gott nimmt alles wahr, was Ihr jetzt leidet, und er will und kann die geschundenen Menschen trösten.

Ob er auch die Opfer in unsern heutigen Kriegen und Bürgerkriegen trösten wird, auf der ganzen Welt? Die Opfer von Herrschern, Terrorgruppen und Wirtschaftskartellen, die Opfer all derer, die sich um ihrer eigenen Macht willen zum Schicksal anderer machen? Ich finde, dieser Satz aus der Bibel verspricht genau das. Daß Gott im massenhaften Leid das persönliche Leid sieht, die Tränen im Gesicht jedes und jeder einzelnen. Immer wieder versuchen Menschen, sich an die Stelle Gottes zu setzen. Heute nicht mehr, indem sie religiöse Verehrung für sich fordern. Aber indem sie sich zu Herren machen über das Schicksal anderer, über ihre Lebensumstände und auch über ihr Leben überhaupt. Daß die Macht von Menschen über Menschen nicht grenzenlos ist – davon spricht jener unbekannte Verfasser um 100 nach Christus.

 

Immer wieder haben Menschen diesen tröstlichen Satz aber auch in andern Situationen auf sich bezogen, bei Krankheit, schmerzhaftem Abschied, Verlust. Es steckt nicht das Versprechen darin, verschont zu sein. Die Tränen werden geweint. Aber es gibt einen, der sie sieht und der sie abwischt, irgendwann oder auch bald.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18610
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