SWR3 Gedanken

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Das Leben eines jeden Menschen ist einzigartig und unantastbar, egal woher er kommt und welche Hautfarbe er hat. So will es unser Grundgesetz. Es ist ein Gedanke, der zutiefst vom Christentum inspiriert ist. In Wirklichkeit aber scheint Leben nicht gleich Leben zu sein, zumindest nicht in meiner Wahrnehmung. Als sich in Texas eine Krankenschwester an Ebola infiziert, ist das die Topmeldung der Nachrichten. Von den Vielen, die sich zur selben Zeit in Liberia und Sierra Leone neu infizieren, erfahre ich nichts. Sie bleiben Nummern - solange nur das Virus dort bleibt, wo es ist. Ich nehme erschüttert Anteil am Schicksal des amerikanischen Journalisten, der im Irak vor laufender Kamera ermordet wird. Von den spielenden Kindern, die zur gleichen Zeit in Syrien durch Fassbomben sterben, erfahre ich nichts. Sie sind Zahlen in der Statistik, ohne Namen und ohne Gesicht.

Im Sommer konnte ich in Ruanda die Gedenkstätte für die Opfer des Völkermords vor zwanzig Jahren besuchen. Der letzte Raum der Ausstellung ist den Kindern gewidmet. Ein paar der Kinder werden dort vorgestellt. Stellvertretend für all die Tausenden, die damals ermordet worden sind. Ich sehe ihre Namen und ihre Bilder. Lese von ihren Hobbies, ihren Zukunftsträumen. Und schließlich, wann und wie sie starben. Es ist der Moment, an dem das Leid fassbar wird, weil es das Herz berührt und nicht nur den Verstand. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, heißt es im Ritus der Beerdigung. Das ist weit mehr als eine Floskel. Der Name lässt ein Menschenschicksal konkret werden. Es wäre gut, wenn wir viel öfter Namen erfahren und die Geschichten, die sich mit ihnen verbinden. Aus Syrien und dem Irak. Aus Liberia, Sierra Leone und den vielen Orten, wo das Leiden der Anderen oft nur noch aus Zahlen besteht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18603
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