SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

„Ich lebe nur mit Toten!“ – hat die alte Frau zu mir gesagt. Überall in ihrer kleinen Wohnung waren Fotos von Menschen aufgestellt, die einmal zu ihrem Leben gehört haben, nun aber verstorben sind. Ihren Ehemann hatte ich vor einem Jahr beerdigt. Sie hat keine Kinder. Sie ist nun allein. „Manchmal bleibe ich vor einem Foto stehen und rede mit dem Menschen“, hat die Frau gesagt. „Das tut mir gut. Ich bin dann nicht mehr so einsam.“ 
Auch die Menschen in der Bibel kennen die Einsamkeit. In einem der Psalmen heißt es: „Gott,  ich habe ja niemanden, der etwas von mir wissen will. Verloren gegangen ist mir jede Zuflucht, niemand fragt nach meiner Seele.“ (Psalm 142,5)
Den einen hat eine Krankheit einsam gemacht. Er hat keinen, der ihn besucht. Den anderen haben Schuld und Schuldgefühle einsam gemacht. Oder Verletzungen, die einem zugefügt wurden. Die Einsamkeit ist für viele die schlimmste Erfahrung. 
Auch Jesus von Nazareth wusste, was Einsamkeit ist. Als es hart auf hart kam, da haben ihn sogar die verlassen, die ihm immer das Gefühl gegeben hatten, nicht alleine zu sein. Seine engsten Vertrauten, seine Jünger sind geflohen. Und als Jesus am Kreuz hing, hat er sich seine Einsamkeit aus dem Leib geschrien: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Jesus hat gelernt, was Einsamkeit ist. Ich glaube, deshalb kann er Menschen aus ihrer Einsamkeit und Verzweiflung helfen. Und wie?
Die alte Frau hat sich in einer Ecke ihres Wohnzimmers ein kleines Holzkreuz aufgestellt, und davor ein Teelicht. Wenn sie sich besonders einsam fühlt, zündet sie das Teelicht an. Dann spricht sie laut mit Jesus. Sie erzählt ihm, was sie bedrückt. Das tut ihr gut. Danach geht es ihr wieder besser. Als sie mir das erzählt hat, ist mir ein Bibelwort eingefallen. Es lautet: „Mein Herz ist wieder fröhlich in dem Herrn“ (1. Samuel 2,1). Ein fröhliches Herz – das wünsche ich allen, die es im Augenblick im Leben schwer haben.

 

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