SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

In einem Gedicht beschreibt Günter Kunert herbstliche Erfahrungen:
Noch ist Sommer. Im Hof
der Baum färbt sich schon gelb.
Wir tanzen. Langsam werden unsere
Schritte schwerer.

In diesen Tagen, wo sich die Natur verändert, wo die Blätter gelb werden und fallen, die Vögel gegen Süden gezogen sind, denken viele Menschen vielleicht über den Herbst in ihrem Leben nach. Wir tanzen. „Noch“ möchte ich hinzufügen. Aber langsam werden unsere Schritte schwerer – ein Bild für Veränderung im eigenen Leben.
Bestimmen mich deshalb Gedanken über den Tod und das Sterben, weil ich mir in diesen Herbsttagen der eigenen Endlichkeit stärker als sonst bewusst werde?
Wenn ich über Sterben und Tod nachdenke, muss ich beim Leben ansetzen.
Je mehr ich das Leben liebe, desto weniger werden mich die Schrecken des Todes bedrängen. Ich weiß mich auch im Tod geborgen, wenn ich mir bewusst bin, wie kostbar das Leben ist.
Im Alten Testament wird diese Geborgenheit in einigen Psalmen ausgesprochen. Sie sind für mich, für mein Denken und Fühlen wichtig. So heißt es in Psalm 139:
 
Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es, Gott.
Du verstehst meine Gedanken von ferne.
Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege…
Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.
Alter und Tod sind nicht nur das ferne Ende. Nein, es gibt nicht nur den fernen Tod, sondern er ist immer auch der nahe Tod. Der kleine, alltägliche Tod, der Teil des Lebens ist, den ich sterbe, gerade da, wo ich glücklich bin. Er gehört zu meinem Leben. Jeder muss täglich ein Stück hergeben. In der Erfahrung des Glücks ist jede unerfüllte Hoffnung, ist jede Enttäuschung ein Stück Sterben. 
Leben und Sterben sind miteinander verwoben. Tausende Tode kann ich erfahren, tausend Leben werden mir geschenkt. Als Lebender sterbe ich, und im Bewusstsein des Todes lebe ich. Das ist der Rhythmus des Lebens. Er muss mich nicht beunruhigen, wenn ich ihn von der Kostbarkeit des Lebens her begreifen lerne. Dazu kann helfen, was die Bibel über Leben und Tod sagt: dass ich in Leben und Tod nicht verloren, sondern geborgen bin.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18569
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