SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

„Es kann nicht immer Sommer sein“ – so heißt es in einem Gedicht von Hermann Hesse. An den Wechsel der vier Jahreszeiten in unseren Breiten sind wir natürlich seit Kindertagen gewöhnt. Und manchmal entspricht ein Sommer auch nicht so ganz unseren Vorstellungen. Noch während wir auf Besserung warten – ist es schon wieder Herbst.

„Der Herbst streut weiße Nebel aus,
Es kann nicht immer Sommer sein!
Der Abend lockt mit Lampenschein
Mich aus der Kühle früh ins Haus“.

So hat Hermann Hesse einen Herbstabend beschrieben - für mich sehr gut nachzuempfinden. Wie behaglich kann es im Haus sein, besonders, wenn man zuvor im Freien war, in der Natur. (Wenn ich fröstelnd spüre wie die Luft feucht geworden ist und vom Fluss, ich wohne direkt am Neckar, Nebel aufsteigt.)
„Es kann nicht immer Sommer sein“ - für mich ist es gut so.  
Und „Alles hat seine Zeit…“, dieser weise Spruch aus dem Alten Testament tröstet mich, wenn ich jetzt das alte Laub von unserem Kirschbaum zusammenharke, der uns an heißen Tagen Schatten gespendet und saftig rote Früchte getragen hat. Wenn ich die vertrockneten Blumen abschneide, die mal in so herrlichen Farben geblüht haben.
(Ihre Schönheit ist dahin. Und bald ist im Garten nichts mehr zu tun.)
Die Natur ruht jetzt bis zum Frühling, dann beginnt der Kreislauf des Lebens von Werden und Vergehen wieder von vorn. Das zu wissen ist beruhigend.
Mir tut es gut, auch in der kalten Jahreszeit bei Wind und Wetter mit der Natur zu leben. Raus zu gehen. Meistens fühle ich mich dann nicht nur körperlich erfrischt, auch meine Gedanken sind es.
Besonders dann, wenn mich Dinge sehr beschäftigen, meine Gedanken sich überschlagen. Oder wenn mich etwas bedrückt.

Als meine Mutter vor Jahren an einem Herbsttag gestorben war, hielt ich es eines Abends nicht mehr im Haus aus, ich war nicht in der Lage irgendwas Vernünftiges zu tun. Draußen im Garten und dann beim Gang durch die Weinberge und die Streuobstwiesen habe ich erlebt, wie mich gerade diese verwelkende Natur, auf die die letzten Abendsonnenstrahlen fielen, getröstet hat. Dieses Bild habe ich als geradezu schmerzlich schön empfunden: glühendes Licht hat die abgestorbenen Blätter in wunderbaren Farben erstrahlen lassen. Wie sehr wir Menschen doch ein Teil der Natur sind, das ist mir da bewusst geworden. Auch wir wachsen und vergehen wieder. Unser Leben kann kein ewiger Sommer sein, irgendwann - bei einem früher, beim anderen später- lässt die Lebenskraft nach und schließlich müssen wir sterben, so ist der Lauf der Natur.
Warum soll es für uns Menschen nach dem Tod nicht doch in irgendeiner Weise weitergehen? So wie die Natur nach der Kälte und Dunkelheit des Winters wieder zu neuem Leben erwacht?
Mich jedenfalls hat der Blick auf die herbstliche Natur mit Hoffnung erfüllt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18503
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