Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Seit 10 Wochen bete ich jetzt fast jeden Tag ein Vaterunser, das habe ich sonst nicht gemacht.

Ich bete mit Frau Schmitt, die ist so lange schon Patientin im Krankenhaus. Nach einer Operation klappte die Heilung nicht, der Bauch ist eine offene Wunde, sie darf kaum aufstehen, liegt immer auf dem Rücken. 82 Jahre alt, es ist eine echte Tortur. Zudem ist sie Wolgadeutsche, spricht zwar deutsch, aber auf eine altertümliche Art, und trotz Hörgerät hört sie schlecht – ein wirklich schwieriges Leben. Um den Darm zu schonen, wird sie seit Wochen künstlich ernährt. Ein weißer Beutel mit 2000 Kalorien hängt neben ihr und läuft über Sonden in den Körper.

Aber davon lebt sie nicht. Sie lebt von einem kleinen Stück Brot. Wir beide – und viele andere Menschen auch – glauben: in diesem Stück Brot kommt Gott zu ihr.

Jeden Tag gehe ich zu Frau Schmitt, wir sprechen etwas, dann beten wir – eben auch das Vaterunser – und dann gebe ich ihr ein Viertel von der Hostie – eigentlich darf sie nichts Festes zu sich nehmen, aber das haben ihr die Ärzte erlaubt.

Danach betet sie noch ein Gebet aus alten Tagen: die Seele Christi heilige mich, der Leib Christi stärke mich – dieses Gebet kannte ich nicht; ich hab es von ihr gelernt.

Sie hat den Glauben von ihrer Großmutter und ihrer Mutter übernommen. Die beiden hatten in Russland ein hartes Leben, im Krieg, im Arbeitslager, auf der Flucht – aber der Glaube an Gott gab ihnen Kraft. Das hat Frau Schmitt übernommen. Auch sie erfährt Kraft durch ihren Glauben und dadurch, dass Gott leibhaftig ein Teil von ihr wird – in der Form dieses kleinen Stückchens von einer Hostie.

Natürlich sind die Besuche der Kinder wichtig, und die Ärzte, und die Pflege, und meine Besuche auch. Und sie braucht auch die Beutel mit Astronautenkost.

Aber sie lebt von der Gegenwart Gottes in der Hostie.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18480
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