Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Zum Bäcker gehen habe ich als Kind geliebt. Die Bäckerei war klein wie eine Puppenstube.Ein Familienbetrieb:Oben die Wohnung, hinten die Backstube, vorn der Laden. Gerade mal vier Kundenpassten da hinein. Oft gab es eine Warteschlange vor der Tür. Wir haben gewartet, bis der Ruf aus der Backstube kam: „Brezeln fertig“. Der Meister kam mit dem riesigen Blech. Er schüttete die heißen Brezeln in einen Korb und schob gleich neue Bleche in den Ofen. Man konnte durch die offene Backstubentür zusehen. Und ich rannte bald glücklich mit meiner Tüte heißer Brezeln heim zum Frühstück.

Für Brezeln und auch für Brötchen musste man früh anstehen.Sie wurden nur früh am Morgen gebacken, bevor das Brot in den Ofen kam. Brezeln und Brötchen waren immer schnell ausverkauft. Das war normal. Siewaren ohnehin ein Fest. Und es gab sie höchstens samstags oder in den Ferien.Der Bäcker und seine Familie sowie der Lehrling haben viel gearbeitet. Nachmittags ging oben in der Wohnung der Fensterladen zu. Der Bäcker musste schlafen. Die Lehrlinge im Haus auch. Sonntag und Montag war die Bäckerei zu.

Wenn ich heute noch einmal meine Kindheitsorte aufsuche, schaue ich ein bisschen wehmütig auf das alte Häuschen. Längst ist es keine Bäckerei mehr. Es würde sich heute auch gar nicht mehr rentieren. Denn das Bäckerhandwerk hat sich sehr verändert.Überall. Familienbetriebe gibt es nur noch wenige. Sie können nur schwer überleben. Die meistenBäckerläden werden von Großbäckereien beliefert. Brötchen und Brezeln kommen tiefgefroren im Laden in den Heißluftofen. Den ganzen Tag wird nachgebacken.Brötchen und Brezeln sind heute Alltags-Gebäcke, oft auch für zwischendurch.

Ich vermisse den Geschmack der Brezeln von damals. Aber ich kann die Veränderungen nachvollziehen. Das Leben und Arbeiten in der winzigen Bäckerei war nicht romantisch.Und es forderte Opfer.Deshalb hat sich der Bäckerberuf verändert. Die Wünsche der Kunden haben sich auch verändert. Wie sich alles verändert. Wir leben ja auch sonst nicht mehr wie vor 50 Jahren. Das will niemand. Aber gutes Brot – oder eine frische knusprige Brezel: die machen mich heute noch glücklich.

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