SWR3 Gedanken

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„Ich kann das einfach nicht verstehen! Meine Tochter wird doch so dringend gebraucht! Die Kinder, ihr Mann – was soll aus denen werden? Warum macht Gott so was?“ Eine Frau aus meiner Nachbargemeinde – ich nenne sie mal Frau Müller - sagte das zu mir. Ihre Tochter lag im Sterben– 33 Jahre jung, zwei Kinder. Frau Müller ist eine tiefgläubige Frau, und sie hat sich immer und in allen Dingen an Gott gehalten hat. Und auch jetzt rang sie in unserem Gespräch darum, den Glauben an diesen Gott, der sie ihr Leben lang getragen hat, nicht zu verlieren. „Ich weiß“, sagte sie, „eigentlich dürfte ich nicht so fragen. Ich kann ja nicht nur das Gute aus Gottes Hand nehmen – ich muss wohl auch das Schwere hinnehmen. Aber es fällt mir so schwer!“
Schweigend habe ich ihre Hand gehalten. Wie konnte ich ihr sagen, dass sie natürlich jedes Recht der Welt hatte, zu klagen. Was wäre sie für ein Übermensch, wenn sie in einer solchen Situation nicht bis in die Grundfesten ihres Lebens und ihres Glaubens erschüttert wäre.
Aber Frau Müller konnte das nicht gut hören, denn dieser Satz „Das tut man nicht“ saß einfach zu tief. Warum eigentlich? Warum fällt es ihr und so vielen anderen Menschen so schwer, Gott anzuklagen, mit ihm zu ringen, ihm die geballte Wut und das Nichtverstehen entgegenzuschleudern? Sogar Jesus hat doch mit Gott gehadert. Auch Jesus sollte viel zu früh sterben. Auch Jesus hatte noch viel vor. Auch Jesus hatte Angst und verstand Gott und die Welt nicht mehr. Und kurz bevor er hingerichtet werden sollte, lag er im Gebet vor Gott und hat ihn gebeten: „Lass doch das alles an mir vorübergehen. Ich hab Angst.“
Doch es ging auch an Jesus nicht vorüber. Und noch im Sterben rief er: Mein Gott, warum hast du mich verlassen! Das waren seine letzten Worte. Kein Einverständnis sondern der verzweifelte Schrei nach dem Warum.
Vielleicht ist genau das die höchste Form zu glauben, das Äußerste, was uns Menschen in einer solchen Situation überhaupt möglich ist. Dass wir mit Gott ringen und gerade so an ihm festhalten.
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