SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Der andere Jesus (zu Joh 2, 1-11) 
Mit einem Fest fängt alles an. Das erste, was der Evangelist Johannes vom Leben Jesu erzählt, ist, dass er auf eine Hochzeit geht.
Er lässt ihn nicht in eine Synagoge gehen, eine Predigt halten,
verwickelt ihn nicht in ein theologisches Fachgespräch mit Schriftgelehrten,
macht ihn nicht zum ersten Sozialarbeiter in den Slums von Nazareth.
Nein, das erste, was wir im Johannesevangelium von Jesus erfahren, ist,
dass er auf eine ganz gewöhnliche Hochzeit geht.
Nach Kana. Aufs Land. Dafür lässt er sich Zeit.
Dafür hat er Zeit. Und man hat ihn bestimmt nicht dahin zwingen müssen.
Bei Johannes ist zwar direkt davon nichts zu lesen, aber ich denke, er wird auch seinen Spaß gehabt haben.
Schade, dass die Maler das bisher nicht auf die Leinwand bekommen haben.
Jedenfalls kenne ich kein solches Bild, das uns Gottes Sohn
als frohen Menschen aus Nazareth zeigt.
Kein Gemälde, das uns einen tanzenden Jesus vorstellt, einen,
der den anderen zuprostet, einen, der zu später Stunde schallend
auch über dumme Witze lachen kann.
Aber er war so. Oder vorsichtiger gesagt, ich kann es mir nicht anderes vorstellen.
Jedenfalls weist uns Johannes durch die Entscheidung diese Geschichte
an den Anfang seines Evangeliums zu stellen, augenzwinkernd darauf hin.
Manchmal steht das Spannendste in der Bibel halt zwischen den Zeilen.
Ich glaube fest, dass Jesus kein Kind von Traurigkeit war,
sondern wie immer mittendrin unter den Menschen.
Er hat mit ihnen diskutiert, mit ihnen gelacht und geschwiegen,
geweint und gestritten. War Mensch unter Menschen.
Leider wird uns zu oft das ernste und gekreuzigte Bild Jesu vor Augen gehalten.
Das gehört auch zu ihm. Ganz wesentlich. Das lässt sich nicht  ausblenden.
Ja, aber es ist eben nicht das einzige Bild, das von seinem Leben erzählt.
Er war mehr als unsere Vorstellungen von ihm und passte noch nie in
eines der Klischees, in denen man ihn zu zähmen suchte.
Er war Gott, ja. Gottes Sohn, aber genauso Mensch.
Mit allem, was dazu gehört. Mit allem. 
Ich bin froh, zu einer Religion zu gehören,die sich nicht nur über den Kopf
und das Einhalten von Geboten abspielt, sondern die einen Stifter hat,
der nicht wollte, dass wir uns von der Welt abwenden, sondern dass wir uns ihr zuwenden. Jesus hatte seine Wüstenzeiten, seine Ausstiege, seine Einsamkeit.
Aber auch seine Feste, Tänze und ansteckende Lebenslust. 
Beides spricht von Gott. Denn es gibt nichts,  wo er nicht wäre.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18402
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