SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

„Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen.“ So beginnt einer der schönsten Psalmen der Bibel. Innigstes Gottvertrauen kommt in ihm zum Ausdruck. „Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser.“ Ich bete ihn gern diesen Psalm. Selbst wenn mein Gottvertrauen diesen großen Worten meist hinterherhinkt, so liebe ich doch diese Worte. Nähren sie doch in mir die Hoffnung, dass es stimmen möge, dass da einer ist, dem ich sagen kann: „Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil, denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht.“ Mit dem Bild von Gott als dem guten Hirten bin ich sehr vertraut. Es kommt häufig in der Bibel vor. Gott sorgt sich um den Menschen, wie ein guter Hirte sich um seine Schafe kümmert.

Dann aber – mitten im Psalm – ändert sich das Bild. Auf einmal heißt es: „Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde.“  Eben lag ich in meinen Gedanken noch auf einer schönen satten Wiese, und von jetzt auf gleich ist auf einmal von Feinden die Rede. Dieser plötzliche Wechsel im Psalm ist mir beim Beten immer sehr schwer gefallen. Ist ja auch klar, denn ich habe keine Feinde, die mich existentiell bedrohen, die mir nach dem Leben trachten. Aber der Psalm ist ja nicht nur für mich entstanden. Wenn ich zum Beispiel an Flüchtlinge denke, Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen, weil man sie dort verfolgt, weil Feinde sie umzingeln. Welche Hoffnung, welche Sehnsucht drückt sich darin aus, wenn sie beten: „Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde.“ 

Heute ist der Tag des Flüchtlings. Millionen Männer und Frauen, Kinder, Alte und Kranke irren auf dieser Welt umher. Nur einige Tausend davon schaffen es, bis zu uns zu kommen. Sie willkommen zu heißen, ihnen den Tisch zu decken, das heißt, den Psalm 23 Wirklichkeit werden zu lassen. Denn der Herr ist nicht nur mein Hirte.

 

 

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