Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Dürfen wir so bleiben wie wir sind?“ fragt der Philosoph Jürgen Wiebicke. Die Antwort kann nur lauten: Natürlich nicht. Jeder muss sich ändern – ja nicht nur ändern, sondern etwas aus sich machen. Lebenslanges Lernen, Mobilität, Flexibilität, Optimierung - diese Stichworte unterstreichen die Pflicht zur ständigen Verbesserung. Jeder befindet sich lebenslang auf seinen persönlichen olympischen Spielen: Schneller, höher, weiter - besser.

Vielleicht müssen wir uns sogar „neu erfinden“. Also uns neu schöpfen, als virtuelle Persönlichkeit auf Facebook, als allzeit bereiter Mitarbeiter im Beruf, als ideale Persönlichkeit in allen Lebenslagen. Nur eines dürfen wir offenbar nicht: So bleiben wie wir sind.

Ich bin da sehr skeptisch. Viele von uns geforderte Veränderungen sind nur schlecht maskierte Anpassungen an steigende Anforderungen der Berufs- und Wirtschaftswelt. Höhere Belastungen auszuhalten wird dann als persönlicher Fortschritt verkauft.

Auf keinen Fall müssen wir uns neu erfinden. Denn wir sind schon eine gute Erfindung: Als Gott die Welt erschuf, erzählt die Bibel, sah er seinem Werk an, dass es gut war. Der Mensch war sogar besonders gut geraten, Gott geradezu aus dem Gesicht geschnitten. Gott sagte nicht: „Na, das kann  noch besser werden“, sondern er sah: Es ist gut. Wir sind Gottes gute Erfindung.

Das ist keine Einladung, die Hände in den Schoß zu legen. Denn diese Erfindung hat Potential, in ihr stecken Talente und Fähigkeiten. Jesus ermuntert mehrfach in der Bibel, diese Gottesgeschenke zu nutzen und zu entwickeln. Doch es ist ein Unterschied, ob ich entwickle, was in mir steckt, oder ob ich von außen unter Veränderungsdruck gesetzt werde. Wenn ich mich entwickle, ist meine Person mit ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten der wichtigste Maßstab. Soll ich mich verändern, sind meist Vorgaben anderer entscheidend.

Dürfen wir so bleiben wie wir sind? Ja, wir dürfen diejenigen bleiben, die wir sind. Als Gottes gute Erfindung können wir uns inmitten aller Veränderungen treu bleiben - und gleichzeitig unsere eigenen Fähigkeiten und Talente entwickeln.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18327
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