SWR2 Wort zum Tag

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Beim Wort Berufung denken wir zuerst an große Dinge. Wir denken an Aufgaben, die eine besondere Begabung erfordern, wie etwa die Berufung zum Lehrer oder zur Ärztin. Was ein Mensch tut, muss ihm entsprechen, muss zu seinen Fähigkeiten und Neigungen passen, sonst kann er es nicht gut tun. „Berufung“ meint eigentlich nichts anderes als dieses „passen“. Diese Entsprechung. So kann einer auch sagen: zum Juristen habe ich keine Berufung.

Allen Einzelberufungen zugrunde liegt aber eine Berufung, an die wir selten denken, obwohl sie zum Menschsein gehört. Das ist die Berufung, immer mehr dieser einzelne, einzigartige Mensch zu werden, der nur ich sein kann. Das ist die weitaus schwerste Berufung. Und eben dieser Berufung zu folgen, lädt Jesus von Nazareth ein.

Im 11. Kapitel des Matthäusevangeliums finden sich dazu drei Ermutigungen. Die erste lautet: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zutragen habt.“ Die zweite: „Nehmt mein Joch auf euch.“ Die dritte: „Lernt von mir, denn ich bin gütig und von Herzen demütig, so werdet ihr Ruhe finden.“

„Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt.“ Merkwürdig: Keinerlei Aufforderung, etwas zu tun, zu verändern, oder einzuüben. Kein Hinweis auf eine Berufung. Vielmehr etwas ganz anderes: das Wissen, dass Menschen sich plagen und schwer zu tragen haben, und zwar oft an sich selbst und an ihrer Berufung, immer mehr sie selber zu werden. Das ist das Schwerste. Niemand, auch Jesus nicht, kann es einem Menschen abnehmen, er selber zu werden. Aber die Nähe, das Vertrauen zu einem anderen kann Mut machen. Eben dazu lädt Jesus ein. Kommt alle zu mir, die ihr euch mit euch selber plagt.

„Nehmt mein Joch auf euch.“ Das Joch ist ein Holz auf dem Nacken des Ochsen, an dem er geführt wird. Hier wird uns also doch eine Last zugemutet. Zusätzlich zu der, die wir uns selber sind. Ein Joch, durch das wir uns führen lassen. Es ist das Joch Jesu. Dieses Joch aber, so fügt Jesus hinzu, drückt nicht, seine Last ist leicht. Es ist eine Führung, vor der niemand Angst zu haben braucht.

„Lernt von mir, ich bin gütig und von Herzen demütig. So werdet ihr Ruhe finden.“ Sich in seinem Menschsein zu entfalten, geht nicht über die Kräfte des einzelnen, weil er, weil sie dabei nicht allein ist, sondern ausruhen kann im Vertrauen zu einem anderen, so wie Jesus von Nazareth im Vertrauen zu seinem Vater.

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