SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Im November gibt es eine ARD-Themenwoche zum Thema „Toleranz“. Mich beschäftigt das Thema schon länger, denn ich mag das Wort „Toleranz“ nicht besonders. Manche Leute verbinden mit Toleranz nämlich die Forderung, dass alles möglich ist und dass jeder mit allem und für alles Toleranz haben muss. In vielen Punkten finde ich das richtig. Toleranz kommt von „erdulden, ertragen“. Ich finde, gerade als Christ muss ich es wirklich ertragen, dass andere Leute eine andere Meinung haben als ich, oder dass sie anders leben. Das erwarte ich umgekehrt ja auch. Manchmal muss ich auch ertragen, dass bestimmte Dinge im Leben einfach so sind wie sie sind. Mehrheitsentscheidungen bei politischen Wahlen, Entscheidungen der Regierung, oder im Kleinen der Musikgeschmack von meinen Nachbarn, der nicht so sein muss wie meiner.

Aber Toleranz bedeutet eben nicht, dass es mir Wurst ist, was die anderen denken. Dass ich aufhöre, in der Diskussion und im Streit nach der Wahrheit zu suchen. Auch wenn die Wahrheit nicht immer einfach zu finden ist und manchmal sogar gegensätzlich bleibt.

Umgekehrt heißt das aber auch nicht, dass ich intolerantes Verhalten toleriere. Im letzten Jahr habe ich es zum Beispiel bei der Diskussion um die Ziele des neuen Lehrplans in  Baden-Württemberg gesehen. Die Diskussion dreht sich um die Frage, wie in der Schule damit umgegangen wird, dass es eine Vielfalt an sexuellen Prägungen gibt. Mir geht es jetzt nicht um dieses Thema, aber bei der Diskussion, die ich dazu verfolgt habe, habe ich Leute gesehen, die meinen, man müsste mit ihnen tolerant umgehen, wenn sie eine Meinung vertreten, die selbst eher intolerant ist: Sie akzeptieren Menschen mit anderen Lebensstilen nicht, wollen aber mit dieser Meinung akzeptiert sein. Das fällt mir schwer. Ich denke, wir alle sind doch Menschen, die sich nach Glück und Liebe sehnen. Jeder auf seine Weise. Solange das niemandem schadet, muss das doch möglich sein.

In Rom gibt es einen Platz mit einem kleinen Marmorelefanten von Bernini, der einen schweren Steinpfeiler trägt. Drunter steht auf Lateinisch, dass es einen kräftigen Verstand braucht, um die Weisheit zu tragen. Für mich geht’s genau darum: Nicht dass ich Recht habe, sondern dass ich voller Weisheit auf die Menschen sehe und dabei akzeptiere, dass möglichst viele zu einem Leben finden, das sie nicht verstecken müssen und das sie mit Glück und Liebe erfüllt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18263
weiterlesen...