Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.“ „Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen.“ Zwei Psalmen, sie stehen in der Bibel direkt hintereinander. Und doch: Größer könnte der Unterschied nicht sein. Auf der einen Seite tiefste Gottverlassenheit. „Mein Gott, ich rufe bei Tag, doch du gibst keine Antwort, ich rufe bei Nacht und finde doch keine Ruhe (Ps 22,3).“ Und auf der anderen Seite innigstes Gottvertrauen: „Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir…“ (Ps 23,4). So sind sie, die Psalmen. Sie decken das ganze Spektrum menschlicher Existenz ab. Es finden sich Psalmen zu jeder Lebenslage. Da wird sowohl über die Ungerechtigkeit in der Welt geklagt und über die Feinde geflucht, als auch die Schönheit der Schöpfung besungen und Gott als der Retter aus der Not gepriesen. Loben, danken, bitten, klagen, fluchen alles kommt vor in diesen 150 Gebeten. Seit Jahrtausenden werden sie von vielen Generationen auf der ganzen Welt immer wieder gebetet. 

Gestern wurde in der Koblenzer Citykirche eine Ausstellung eröffnet mit der Überschrift:  Lebensraum Psalmen. Im ersten Moment verwirrt dieser Titel. Mit Lebensraum verbindet man den Ort, an dem man lebt, aber auch die sozialen Kontakte, Interessen, und Gruppenzugehörigkeiten, die ein jeder von uns hat. Eben der Raum, in dem sich mein Leben abspielt. Und die Psalmen sind letztlich nichts anderes als eine Sammlung alter Gebete des Volkes Israel. Und die sollen Lebensraum sein? Für mich hier und heute?  Die Sprache und die Bilder der Psalmen sind meinem Leben heute durchaus fremd, sie stammen eben aus dem alten Israel. Aber die Lebenslagen, die Situationen und Stimmungen, in denen dort Menschen beten, sind mir sehr vertraut. Auch mir heute ist es oft zum Loben und Danken aber auch zum Fluchen und Klagen. Die Psalmen laden mich ein, dies auch zu tun und so meinem Leben Raum zu geben.

 

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18230
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