SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen, und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen.“ Es gibt Worte, die leuchten. Manche so, dass sie Jahrtausende durchdringen können mit der Kraft ihres Lichts. Diese uralten Worte gehören dazu. Sie leuchten. Und sie leuchten warm.
Wann begann der Mensch, Mensch zu sein? Sicher in dem Moment, als er in der Lage war, sich und anderen einen Namen zu geben und zu wissen: ich bin nicht irgendwer, ein austauschbares Wesen, sondern ein Mensch, der einen Namen hat. Ein kleiner Kerl, bei dessen Eltern ich diese Woche zu Besuch war, der sagt gerade zu allen Menschen und Dingen „Mama“. Mit diesem „Mama“ und dem - wie ich lernte - universal einsetzbaren Wort „Da“ kommt er - noch - prima durchs Leben. Gut, auf die Dauer wird er sicher die Sache mit der Namensgebung noch differenzieren, schließlich gibt es auch noch seinen Papa, Oma und Opa und seine Freundinnen und Freunde in der Spielgruppe, aber es hat doch was, sich im Alter von 19 Monaten mit „Mama“ zu umgeben. In einer großen, vielleicht auch gefährlichen Umgebung, mitten in einer Welt, die ich zu begreifen suche, aber noch nicht ganz ergreife, finde ich überall „Mama“. Ich meine, das ist ungeheuer tröstlich: Was kann schon passieren, wenn Mama überall ist, da kann doch, auch wenn mir mal ein Tischbein in die Quere kommt oder ich von einer Schaukel falle, zuletzt nichts wirklich Schreckliches passieren. „Mama“.
Fürchte dich nicht, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.
Wenn man erwachsen wird, gibt es Schrecklicheres als einen blauen Fleck und eine Beule. Da gibt es Ströme, die ersäufen können, Feuer, die verbrennen. Und die schlimmsten Feuer und die schrecklichsten Ströme, das sind die, die Menschen verursachen. Doch selbst wenn Menschen Namen vergessen mögen - Gott vergisst keinen Menschennamen.
„Mama“ sagt der kleine Kerl, den ich letzte Woche besucht habe, zu allen, die ihn umgeben. Vor einem Jahr habe ich ihn getauft. Wenn er später einmal Gott so entdeckt wie jetzt Mama, wenn er spürt, dass ihn dieses „Fürchte dich nicht, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein“ in seinem Leben so umgibt und herausfordert wie jetzt dieses „Mama“, dann wird er zu einem mutigen und freien Menschen heranwachsen. Einem Menschen, der lieben kann, so wie er geliebt ist, und der spürt, dass diese Liebe der eigentliche Urgrund des Universums ist, ein Ruf, dem alles entspringt. Eine warme, leuchtende Stimme, die Jahrtausende so durchklingt wie unsere Gegenwart und unsere Zukunft.
Fürchte dich nicht, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.

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