SWR2 Wort zum Tag

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(Gerhard Richter 2)

 In einer Ausstellung des Malers Gerhard Richter in Riehen bei Basel sind auch 15 Bilder des so genannten „Baader-Meinhof-Zyklus“ zu sehen. Sie rufen den „Schwarzen Herbst“ des Jahres 1977 in Erinnerung. Nach einer Serie von Terrorakten, von Morden an führenden Persönlichkeiten in Deutschland und nach einer gescheiterten Flugzeugentführung haben sich damals drei Mitglieder der so genannten „Roten Armee Fraktion“ im Gefängnis in Stuttgart-Stammheim erhängt: Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe. Eineinhalb Jahre zuvor bereits hatte sich die Mitbegründerin der RAF, Ulrike Meinhof, in ihrer Zelle erhängt.

Es sind schockierende, verstörende Bilder, denen Polizeifotos zugrunde liegen. Richter hat sie in einer mehr oder weniger verschwommenen Malweise gestaltet, weil er so vielleicht die quälenden Rätsel ausdrücken wollte, die den Ereignissen von damals anhaften. Das Anliegen, das ihn dabei geleitet hat, wird deutlich, wenn ich seine Bilder von Ulrike Meinhof herausgreife. Da ist auf der einen Seite das Jugendbildnis eines Mädchens mit großen, etwas verträumt wirkenden Augen. Und gegenüber stehen drei Bilder der toten, auf dem Boden ihrer Gefängniszelle liegenden Ulrike Meinhof – trotz der räumlichen Nähe in respektvoller Diskretion gemalt.

Gerhard Richter wurde seinerzeit wegen dieser Arbeiten angegriffen. Für viele waren sie eine Provokation, die traumatische Erinnerungen wach rief. Ich verstehe ihn  so: Er wollte die fertigen Urteile von Schwarz und Weiß, von Gut und Böse aufbrechen und den Blick frei machen für existenzielle menschliche Fragen: Wie konnte es geschehen, dass junge Menschen, mit deren Zukunft sich sicher sehr viele Hoffnungen verbunden haben, ein so trauriges Ende nehmen? Wie konnten sich ihre Ideale von einst so sehr in Verblendung, in hasserfüllten Fanatismus und schließlich in ausweglose Verzweiflung verwandeln? Hatten nicht auch Sie Eltern, Menschen, die sie liebten, und die an all dem Geschehenen ebenso verzweifeln mussten wie die Angehörigen der Opfer? „Kunst hat immer mit Not, Verzweiflung und Ohnmacht zu tun“, hat Richter einmal gesagt. Er wollte mit diesen Bildern kein politisches Statement abgeben, sondern menschliche Tragik ausdrücken. „Es ist Trauer“, sagt er, „aber ich hoffe, man sieht, dass es Trauer um Menschen ist, die so jung und so sinnlos gestorben sind, für nichts.“

Was mich an diesen Bildern Gerhard Richters bewegt, das ist eine Sehweise des Erbarmens, die letztlich stärker ist als das Verurteilen. Das zu sagen ist problematisch, ich weiß es; denn das Leid der Opfer darf nie vergessen werden. Aber vielleicht hilft uns der Maler, in unserem Urteil gelegentlich innezuhalten und auch dort, wo es uns schwer fällt, immer noch den Menschen wahrzunehmen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18180
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