SWR2 Wort zum Tag

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Nennen wir ihn François, den jungen Mann, der hier bei uns in einem Flüchtlingswohnheim lebt. Als er im Frühjahr hierher kam, hatte er eine kaum vorstellbare Odyssee hinter sich. Vor vier Jahren ist er aus seiner westafrikanischen Heimat geflohen. Als Christ war er dort an Leib und Leben bedroht. Allerdings werden in Ländern, in denen Christen verfolgt werden, auch die Menschenrechte der übrigen Bevölkerung mit Füßen getreten.

Zu Fuß hat sich François durchgeschlagen – nach Norden, durch die Sahara bis nach Libyen. Ein Überlebenskampf sei der Marsch durch die Wüste; nur die Stärksten gewinnen ihn – so haben es Flüchtlinge geschildert, die diese Strapazen durchgemacht haben. In Libyen hat François zunächst Arbeit gefunden; nach dem Sturz des Diktators Gaddafi kam er in Haft. Wie er nach seiner Freilassung nach Bulgarien gelangt ist, bleibt sein Geheimnis. Auch dort wurde er inhaftiert, dann nach Griechenland abgeschoben, dann auch dort ausgewiesen. Irgendwann und irgendwie ist er in Deutschland gelandet. Dass er hier wie ein Mensch behandelt werde, das sei die schönste Erfahrung, sagt er.

Aber seine Geschichte geht weiter. François sollte erneut abgeschoben werden – zurück in das Land, in dem er zum ersten Mal den Boden der Europäischen Union betreten und Menschenunwürdiges erlebt hatte. Dort sollte er sein Asylverfahren durchlaufen. Die europäischen Flüchtlingsgesetze sehen das so vor. Irgendwann mitten in der Nacht würde  ihn die Polizei abholen – unangekündigt.

Es ist zum Glück anders gekommen. In seinem Fall hat ein Gericht gerade noch rechtzeitig die Abschiebung aufgehoben. In vielen anderen Fällen ist das nicht möglich, obwohl auch diese Menschen oft traumatische Erfahrungen hinter sich haben. Irgendwann nachts steht die Polizei an ihrem Bett und muss sie abholen. Sie werden abgeschoben in Länder an den Außengrenzen der EU. Dort finden sie keine Bleibe, keine Arbeit, haben keine Zukunftschancen. Viele werden in die Illegalität gedrängt oder kriminell, um überhaupt überleben zu können.

Es sind Menschen – Menschen, die verschlossen sind und die Angst haben, das Wenige an Zukunftschancen zu verlieren, auf das sie noch hoffen. Menschen, die nach Jahren der Unsicherheit erneut ins Ungewisse getrieben werden. Sie sind Spielball einer Politik, bei der sich die europäischen Länder gegenseitig den Schwarzen Peter des Flüchtlingselends zuschieben. Erinnert sich Europa noch an die humanen Grundpfeiler seines christlichen Erbes?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18178
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