SWR2 Wort zum Tag

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„Muss man nicht ein bisschen verrückt sein, um die Hoffnung nicht aufzugeben in dieser Welt?“ Schalom Ben Chorin, der jüdische Religionsphilosoph hat so gefragt. Die Antwort hat er mitgegeben. Seine Frage war nämlich rhetorisch. Als Jude aus Deutschland hat er so viel erlebt, dass seine Antwort war. ‚Ja, man muss verrückt sein, um die Hoffnung nicht aufzugeben - und an Gott zu glauben‘ hat er noch angefügt.
Lieber verrückt als ohne Hoffnung und ohne Glauben. Für diese Lebensmaxime bin ich ihm, dem Juden, sehr dankbar. Sie hat ihn auch dazu gebracht, dass er sich in den 60, 70 und 80er Jahren für die christlich -jüdische Versöhnung eingesetzt hat. Als Christ in Deutschland kann man nur froh sein, dass es Menschen wie ihn gegeben hat. Ich meine: Auch in Erinnerung an Menschen wie ihn müssen Christen als Erste aufstehen gegen neuen Antisemitismus bei uns.
„Lieber verrückt als ohne Hoffnung“
Ich finde, dieses Krisenjahr 2014 zeigt, wie wichtig diese Lebensmaxime ist. Hoffnung, dass Krisen auch besser werden können. Hoffnung, um um Frieden zu ringen, sogar für Menschen, die sich spinnefeind sind. Um neue Perspektiven selbst für die, die sich gegenseitig das Existenzrecht absprechen oder sich verhalten als hätten die anderen es verwirkt.
Ver-rückt sein heißt: Etwas aus der Gegenwart heraus-rücken. Heraustreten aus ihrem Bann. Die Vorstellungskraft stark machen über das hinaus, was heute die Wirklichkeit bestimmt. Darauf beharren, dass sich etwas ändern kann und dass es Möglichkeiten zum Guten gibt.
„Irgendwie verrückt sein.“ Wie Schalom Ben Chorin oder sein Vorfahr Jeremia, ein Prophet, von dem die Bibel erzählt. Der hat in einer schlimmen Krise gehandelt, als wüsste er, dass sie gut ausgeht. An ihm sieht man, hoffen ist nicht nur Kopfsache. Er hat gehandelt. Nicht für morgen, sondern für überübermorgen: Jerusalem, seine Stadt, wird belagert. Von einem überlegenen, brutalen Feind. Der größte Teil des Landes ist bereits erobert. In der größten Zuspitzung, als jeder sieht: ‚Alles ist verloren, keine Zukunft. Das Ende nah.‘ Da geht Jeremia hin und kauft einen Acker. Im Wissen, ich selbst werde ihn niemals bebauen können. Er kauft den Acker als Zeichen für Zukunft: Es wird sie geben, auch wenn wir sie uns nicht vorstellen können. Es wird eines Tages in diesem Land wieder Menschen geben, die säen und ernten. Verrückt, dieser Jeremia.
Was sagt er mir? Man kann in Krisen so handeln, dass sie gut ausgehen können. Und: Man muss ein bisschen verrückt sein, um die Hoffnung nicht aufzugeben und an Gott zu glauben.

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