SWR2 Wort zum Tag

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Als Gott die Welt erschafft, so heißt es im biblischen Schöpfungsbericht, da ruft er ein Lebewesen ums andere ins Leben, und zusammen mit den Tieren des Feldes auch den Menschen. Der Mensch ist Geschöpf wie alles, was lebt. Es gibt allerdings eines, was ihn schon im Paradies von seinen Mitgeschöpfen unterscheidet: Der Mensch gibt den Tieren ihren Namen. So will es Gott: „Gott brachte sie zu dem Menschen, dass er sähe, wie er sie nennte; denn wie der Mensch jedes Tier nennen würde, so sollte es heißen.“ (1. Mose 2,19). Eine kleine Erwähnung im biblischen Text, aber es signalisiert Bedeutsames: Gott gibt einen Teil seiner Schöpfermacht an den Menschen ab, indem er ihn teilhaben lässt an dem Recht des Schöpfers, seine Geschöpfe zu benennen, ihnen einen Namen zu geben.

Wer anderen einen Namen geben darf, hat Macht. Liebevolle und behütende Macht ist es, wenn Eltern ihren Kindern Namen geben. Mancher Name entwickelt sich weiter, wird anders, wird zum freundlich oder witzig verkürzten Rufnamen. Denn: Mein Name sagt etwas über mich aus. Wer ihn kennt, weiß etwas über mich. Das Märchen vom Rumpelstilzchen spielt genau mit dem Gedanken: Solange sein Name nicht erraten ist, kann kein anderer Macht über ihn haben, weil er ihn nicht kennt.

Auch im übertragenen Sinn gilt das: Wer die Dinge beim Namen nennt, stellt sich ihnen, kennt sie und will bekannt machen, was sich dahinter verbirgt. Protestbewegungen leben davon, dass sie die Dinge beim Namen nennen, die verschleiert oder unterdrückt oder verborgen sind, und damit wenigstens die Deutungshoheit und das Recht zurückholen, die Wahrheit zu erkennen und sie auch auszusprechen.

Wer also etwas beim Namen nennt, sagt: So verstehe ich, was da geschieht. Zum Beispiel in Geschichte und Politik, zum Beispiel in der wissenschaftlichen Forschung: Entdecken und Zur Sprache bringen bedeutet Entzauberung und Klärung.

Und: Wer andere beim Namen nennt, macht deutlich: So bist du für mich. Deshalb müssen und sollen wir empfindsam sein, wenn wir etwas oder jemandem einen Namen geben: Zärtliche Namen sind schön und zeigen Wertschätzung. Aber es gibt auch eine dunkle Seite dieser namengebenden Macht: Abwertende Namen und Bezeichnungen sind nicht nur kränkend, sie überheben sich auch über die anderen und beherrschen sie.

Die Bibel berichtet, dass Gott diese große Aufgabe dem Menschen überträgt: Er darf die Geschöpfe beim Namen nennen, darf etwas tun, was eigentlich dem Schöpfer dieser Geschöpfe vorbehalten ist. An uns Menschen ist es, mit dieser machtvollen Aufgabe verantwortlich umzugehen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=1816
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