Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Religionsunterricht in einer 6. Klasse. Der zwölfjährige Timo meldet sich ganz aufgeregt: „Jesus ist ausländerfeindlich!“ Und Lisa ergänzt: „Und gegen Frauen hat er auch was!“

Was war passiert? Wir hatten einen Text aus dem Matthäusevangelium gelesen. Und zwar den, der heute Morgen in allen katholischen Gottesdiensten vorgetragen wird (Mt 15,21-28).

Da zieht sich Jesus mit seinen Jüngern zurück ins Gebiet von Tyrus und Sidon, in den Libanon. Hier leben nur wenige Juden. Da ließe sich ein wenig ausruhen. Doch daraus wird nichts. Eine Frau aus der Gegend läuft Jesus hinterher und fleht laut um Hilfe: „Hab Erbarmen mit mir, du Sohn Davids! Meine Tochter ist krank!“ Jesus reagiert nicht. Die Mutter aber lässt sich nicht abschütteln. Den Jüngern wird die Sache peinlich. „Herr, hilf ihr doch. Sie schreit hinter uns her.“

Jesus bleibt hart: „Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt. Es ist nicht Recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen.“ Für den Mann aus Nazaret ist klar: Die Botschaft vom Reich Gottes gilt nur seinem Volk, also Israel. Die Leute aus der Region um Tyrus und Sidon dagegen gehören zu den „Hunden“, den unreinen Nicht-Juden.

Die Frau gibt nicht auf: „Du hast recht, Herr, aber selbst die Hunde bekommen von den Brotresten, die vom Tisch ihrer Herren fallen.“

Jesus ist beeindruckt. Geht Israel etwas vom Heil verloren, wenn es den Segen Gottes mit anderen teilt? Macht die Liebe Gottes an nationalen oder religiösen Grenzen halt?

Jesus antwortet der Mutter: „Dein Glaube ist groß. Was du willst, soll geschehen.“ Und der Evangelist erzählt: „Von dieser Stunde an war ihre Tochter geheilt.“

„Dann hat es Jesus doch noch kapiert“, kommentiert Timo.

Jesus lernte also von einer Frau. Er änderte seine Meinung. Gehört das nicht auch unbedingt zu seiner Menschlichkeit? Sich korrigieren lassen, neue Einsichten gewinnen? Ich finde es großartig, wenn wir Jesus so als unseren Bruder im Glauben neu kennenlernen. Dann ist er uns noch näher.

 

 

 

 

 

 

 

 

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