SWR2 Wort zum Tag

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Heute wäre der 100. Geburtstag meiner Großmutter, vor sechs Jahren ist sie gestorben. Sie war keine bedeutende Frau und hat nichts im öffentlichen Leben bewirkt. Es ist also kein Jubiläumstermin für irgendeine Form von Öffentlichkeit. Allenfalls die Familie macht sich das Datum bewusst.

Wie lange wird ihr Name noch in meinem, in unserem Familien-Gedächtnis bleiben? Schon die Urenkelgeneration verliert die Spuren ihres langen Lebens. Nach ihnen wird sie vergessen sein. Mir hingegen steht sie noch ganz lebhaft vor Augen. Sie hat meine Kindheit geprägt, hat mich getröstet, wenn ich hinfiel, mich geschimpft, wenn ich nicht ordentlich aufgeräumt habe, hat mir von früher erzählt, wenn sie ins Sinnieren kam. Ihre Arbeitssschürze hat sie nur zum Kirchgang abgelegt. - Ihr Leben hätte auch ganz anders verlaufen können. Sie hätte auch im großen Berlin bleiben können, wo sie als Hausmädchen in den wilden 20er Jahren mit ihrer „Herrschaft“ für zwei Jahre hingezogen war. Aber dort traute sich das Mädchen vom Land nicht aus dem Haus, weil sie vor den Doppeldeckerbussen Angst hatte. Wenn das damals anders gegangen wäre, hätten andere sie in Erinnerung, und, wer weiß, vielleicht hätte sie ihren bodenständigen schwäbischen Vornamen abgelegt oder ihn schicker gemacht für die Berliner Gesellschaft? Müßig, darüber nachzudenken. Im Heimatdorf und in der Familie, die sie gegründet hat, war ihr Name „Wilhelmine“ bekannt: als Nachbarin, als Mutter, als Freundin, als Oma.

Was wird sein, wenn sie nicht mehr erinnert wird? Wird ihr Name wenigstens unter uns als Familie bleiben und die Zeiten überdauern? Namen sind Schall und Rauch, sagt man. Sie vergehen. Das gilt für Menschen, die im Blick der Öffentlichkeit stehen ebenso wie für die einfache Bauersfrau, die nicht über ihr Heimatdorf hinaus kommt.

Unsere Namen vergehen. Das menschliche Gedächtnis ist begrenzt. Mich bedrückt das nicht, denn ich lese in der Bibel, dass das bei Gott anders ist. Dort heißt es: „Freut euch aber, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind!“ (Luk. 10,20). Ein Mensch ist mit seinem Namen in Gottes Erinnern bewahrt. Das Wesen eines Menschen, der Gedanke an ihn, hängt letztlich nicht von meinem Erinnerungsvermögen und meiner Treue ab. Sondern ich kann mich darauf verlassen: Bei Gott ist der Name des geliebten Menschen nicht vergessen, selbst wenn ich ihn vergessen sollte. Das ist tröstlich, denn das gilt ja auch für mich: Mein Name bleibt bewahrt in Gottes Erinnerung, jenseits und trotz aller Namen, mit denen ich im Laufe meines Leben gerufen werde.

Unsere Namen sind im Himmel aufgeschrieben, sagen die biblischen Glaubenszeugen. Das finde ich tröstlich!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=1815
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