SWR2 Wort zum Tag

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Unsere Clematis, eine wunderbare Kletterpflanze, ist einfach verdorrt. Meine Frau hatte sie vor ein paar Wochen eingepflanzt. Prompt rankte sich die Pflanze am alten Gartentor hoch, trieb aus, dann blühte sie. Immer wieder bin ich hingegangen, hab mich gewundert und gefreut, wie schnell sie wächst, habe ihre Blüten bewundert. Jetzt war ich ein paar Tage unterwegs – und als ich zurückkomme sehe ich: Die Clematis ist verdorrt. Einfach so und ganz plötzlich.

Meine Frau hatte es schon gesehen. Und weiß sich keinen Rat. Obwohl sie bei uns den grünen Daumen hat, die Expertin in Sachen Garten ist. Wenn sie sich nicht auskennt, dann heißt das was. Aber bei der Clematis konnte sie nicht sagen, woran es lag. Der Boden, die Trockenheit, zu viele andere Pflanzen drumherum?

Nicht nur eine Pflanze kann überraschend verdorren. Auch in meinen Leben ist es so, dass etwas plötzlich und überraschend zu Ende ist. Ich hab das bei einer Freundschaft erlebt. Plötzlich war es aus. Wir konnten nicht mehr unbefangen miteinander reden. Ich fühlte mich verletzt durch meinen Freund – und er konnte das gar nicht so richtig verstehen. Aber für mich hatte sich unser Verhältnis entscheidend verändert. Wie verdorrt hat sich das angefühlt.

Im Nachhinein habe ich allerdings auch gedacht: Es gab schon vorher Zeichen. Wir haben uns seltener gesehen, weniger Zeit füreinander gehabt. Das tiefe, fast schon blinde Verständnis füreinander hatte da schon Risse bekommen.

Beides macht mich traurig: Dass eine Pflanzeeinfach so verdorrt, dass eine Freundschaft zu Ende geht. Und ich merke auch, dass ich bei beidem ziemlich machtlos bin. Die Pflanze treibt nicht mehr aus, da kann ich sie gießen wie ich will. Die Freundschaft lässt sich nicht einfach so beleben. Zuviel ist kaputt gegangen.

Ich muss mit dem Verlust zu leben. Damit leben, dass etwas zu Ende geht. Ein Leben, eine Beziehung. Es liegt nicht in meiner Macht, alles am Leben zu erhalten. Das finde ich eine bittere Erfahrung. Aber sie schenkt mir auch die Möglichkeit, neu anzufangen. Nach neuem Leben Ausschau zu halten. Ich kann ganz einfach eine andere Pflanze einsetzen. Vielleicht eine, die mit dem Boden besser zurechtkommt. Und ich kann Abschied nehmen von einer Freundschaft und auf andere Menschen zugehen. Kann neu beginnen, statt immer nur zurückzusehen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18129
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