SWR3 Gedanken

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Schwarz-Rot-Gold! Akkurat lackiert auf jedem einzelnen Fingernagel. Die Schülerin, die im Zug neben mir saß, muss eine Menge Zeit in ihre Nägel investiert haben. Schwarz-Rot-Gold, wohin man in den letzten Wochen auch schaute. An Autospiegeln, auf Türen und Motorhauben. In Fenstern, an Balkonen und Haustüren. Einer hatte gar seine ganze Hausfassade mit einer riesenhaften Fahne verhüllt. Flagge zeigen ist wieder normal geworden bei uns. Ein kollektiver Rausch, der nicht viel kostet, aber ein großes Wir-Gefühl erzeugt. Deutlich schwerer wird es, wenn ich auch im Alltag Flagge zeigen will. Und zwar auch dann noch, wenn nicht mehr alle einträchtig mitjubeln, es vielleicht sogar ungemütlich wird. Flagge zeigen zum Beispiel für die  Werte, für die Schwarz-Rot-Gold unter anderem auch steht. Zum Beispiel, dass jeder Mensch eine Würde hat, die unantastbar ist. Ganz egal, wer er ist, woher er kommt und was er macht.

Inge Hannemann, ehemalige Mitarbeitern in einem Hamburger Jobcenter, hat letztes Jahr einen Preis für Zivilcourage bekommen. Weil sie Arbeits- und Perspektivlosigkeit nicht länger nur verwalten wollte. Weil ihr die Schicksale der Menschen, die ihr Tag für Tag begegneten, so nahegingen, dass sie begann, das System zu kritisieren. Weil sie also Flagge gezeigt hat, zuerst nur intern, dann aber auch öffentlich. Heute kämpft sie nicht nur für einen anderen Blick auf Menschen, die es ohne Hilfe nicht schaffen, sondern auch um den eigenen Job. Ihr Arbeitgeber in Hamburg hat sie nämlich vom Dienst beurlaubt. Sie ist nur ein Beispiel für Menschen, die auch Flagge zeigen. Dort nämlich, wo Dinge nicht optimal laufen. Dazu braucht es auch keine wehenden Fähnchen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18043
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