SWR3 Gedanken

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„Ein Auge gibt´s, das alles sieht“. Als Kind hat man mir so noch den „lieben Gott“ vorgestellt. Eine Art himmlische Überwachungsdrohne, der nichts, aber auch gar nichts verborgen bleibt. Das Naschen an den Süßigkeiten ebenso wenig wie die schlüpfrigen Gedanken in der Pubertät. Denn dieser Gott konnte einem ja bis ins Hirn schauen, kannte selbst meine Träume. Ganze Generationen haben sich mit ihm herumgequält. Doch dieses Zerrbild eines Überwachungsgottes mit ständig erhobenem Zeigefinger ist mausetot. Gott sei Dank.

Das Auge aber, das alles sieht, das ist geblieben. Nur regt es heute niemanden mehr auf. Es macht ja auch keine Angst mehr. Im Gegenteil, eigentlich will es mir nur mein Leben verschönern. Etwa, indem es mir Dinge vorschlägt, die mir doch gefallen könnten. Amazon zum Beispiel kennt etliche meiner Vorlieben. Google dagegen weiß meistens ziemlich genau, was mich gerade umtreibt. Eric Schmidt, der Chef von Google, soll mal gesagt haben: „Wir wissen, wo du bist. Wir wissen, wo du warst. Wir können mehr oder weniger wissen, was du gerade denkst.“ Wahrscheinlich  auch jene Gedanken, die ich sonst für mich behalten und keinem erzählt hätte. Und schließlich ist da ja noch Facebook und bereichert mich mit hundert Freunden. Und damit das alles auch klappt, merkt es sich akribisch die Details von jedem einzelnen von uns und verknüpft sie miteinander. Nein, einen Gott, der alles sieht, den braucht es da wirklich nicht mehr.

Zumindest nicht die lächerliche Überwachungsdrohne, die mich vor allem gefügig machen soll. Aber vielleicht ja einen Gott, der mich umgibt und der mich ernst nimmt. In meinem Versagen ebenso wie in meinem Erfolg. Einen Gott, der mich nicht ausspionieren und der mir nichts andrehen will. Der einfach da ist, als eine Art Hintergrund und Ziel meines Lebens. Vielleicht ist der ja doch noch nicht tot.

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